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Erstes Kapitel.

Die rechtliche und wirtschaftliche Lage des
Arbeiterstandes.

1. Die Entstehung des freien Arbeiterstandes.

Wir haben oben in den Kapiteln über Arbeitsteilung und gesellschaftliche Klassenbildung (1. Buch, 1. Kap., Abschnitt 4 und 5, 3. Kap., Abschnitt 1.) zu zeigen gesucht, daß und warum die wirtschaftliche Gesellschaft sich stets bei höherer Kultur in aristokratisch führende Kreise, in einen Mittelstand und in handarbeitende untere Klassen geschieden hat; wir haben gesehen, daß die letteren nacheinander die Rechtsform der Sklaverei, der Hörigkeit und der freien Arbeit durch= laufen, daß aber nirgends bis jetzt der große Fortschritt zur per= sönlichen Freiheit und zur Rechtsgleichheit aller Klassen das Ver= schwinden einer besonderen Arbeiterklasse und der Klassenschichtung überhaupt herbeigeführt habe.

Wir suchten nachzuweisen, daß das Ent- und Bestehen von handarbeitenden Klassen ein Ergebnis der notwendigen gesellschaftlichen Differenzierung sei, daß diese weder in ihrem Ursprung und ausschließ= lich auf die verschiedene Eigentumsverteilung, wie die Sozialisten glauben, noch ausschließlich auf die Rassenverschiedenheit, wie Gobineau und seine Schule lehrt, zurückzuführen sei; wir nahmen an, daß der Fortschritt des menschlichen Geschlechts nur in der Form mög= lich sei, daß immer zunächst einzelne Personen und Gruppen je nach Rasse, Fähigkeiten, Kräften und Begabung sich arbeitsteilig empor= schwingen, die politischen, technischen, organisatorischen Führer werden, daß sie als Familienväter, Heerführer, Grundeigentümer, Kaufleute, Schiffsführer und Unternehmer zahlreicher ausführender, dienender Kräfte bedürfen, und daß dazu ihre jüngeren Söhne und Verwandten nicht ausreichen, daß so alle Anläufe zu großen und einheitlichen herrschaftlichen Organisationen auch zu der Entstehung gehorchender handarbeitender Klassen der Gesellschaft führten. Die aus der Verschieden= heit der persönlichen Eigenschaften, der Berufe und ihrer Erfolge sich ergebende Verschiedenheit der Macht und des Eigentums in der Gesellschaft, wie die Ausbildung von rechtlich normierten Arbeitsverfas= sungen mit befehlenden und gehorchenden Elementen erschienen uns so als die zwei notwendigen Folgen des gesellschaftlichen Differen=

zierungsprozesses überhaupt, ohne welchen die aufsteigende Entwicklung der Menschheit sich nicht vollziehen könne.

Die Differenzierung und das Organisationsbedürfnis der Gesellschaft schuf dauernde Klassengegensäte; sie konnten sich nur anlehnen an die körperlichen und geistigen Verschiedenheiten, welche teils von früher her 3. B. durch Rasseneinfluß vorhanden waren, teils durch die Macht, das positive Recht, die Beschäftigung, die Erblichkeit des Berufes, den Besit weiter gesteigert wurden. Stets war dabei eine grōBere oder geringere Abhängigkeit der unteren handarbeitenden Klassen von den höheren die Folge, und aus ihr, wie aus dem Organisationsbedürfnisse, aus den politischen Ideen der Zeit, aus den sonstigen Staats-, Rechts- und Wirtschaftsverhältnissen gingen die erwähnten typischen Rechtsformen der Sklaverei, der Hörigkeit und der freien Arbeit nacheinander hervor. Jede von ihnen seht erhebliche soziale Klassen= gegensäte voraus; aber jede solche von anderer Art und ein ganz anderes Stadium der volkswirtschaftlichen Entwicklung sowie eine ganz andere sozialpolitische Ideenwelt. Den Unterschied der drei Rechtsformen wird man vielleicht am kürzesten so formulieren können: Die Institution der freien Arbeit gibt den führenden Kreisen geringere Herrschafts- und Machtbefugnisse als die Hörigkeit, diese geringere als die Sklaverei. Wir werden also annehmen können, daß die lettere Institution, die Sklaverei, einst da sich bildete, wo etwas größere Familien, Betriebe, Herrschaften zu organisieren nur mit den weitest= gehenden Machtbefugnissen möglich war, wo die unteren Klassen, überwiegend noch sehr roh und gewalttätig, nur so in die Familien und Betriebe einzuordnen waren. In etwas gemilderter Abstufung war dies bei der Hörigkeit der Fall. Die beiden älteren Arbeitsverfas= sungen entsprachen den früheren größeren und härteren Klassengegen= sähen; man bedurfte bei der noch überwiegenden Naturalwirtschaft, bei der unvollkommenen Technik und Arbeitsteilung der harten Dizziplinarmittel, welche diese Institutionen boten. Sie erreichten technisch und wirtschaftlich zeitweise Großes, aber nicht ohne die Überspannung ihrer disziplinarischen Herrschaftsmittel. Und das führte mit der Zeit zu so brutalen Mißhandlungen, zu so großen sozialen Mißständen, daß die ganzen Institutionen endlich unmöglich wurden. Der durch sie erzeugte Haß, die soziale Reibung machte diese schärferen Rechtsformen des herrschaftlichen Arbeitsverhältnisses unmöglich; die aufsteigenden unteren Klassen mußten einer humaneren Form unterworfen werden, erst der der Hörigkeit, dann der der freien Arbeit.

Einzelne freie Arbeiter, ja Gruppen von solchen, hat schon die

Zeit der Sklaverei und der Hörigkeit gekannt. Die fähigsten Elemente befreite man, oder sie kauften sich die Freiheit; wo größere Geschicklichteit, feinere Arbeitsteilung und Geldwirtschaft vordrang, wo die neuen Betriebsformen, die größeren Betriebe sich einstellten, nahm die Zahl der freien Arbeiter zu. Die europäische Stadtbevölkerung hatte schon vom 14. und 15. Jahrhundert neben Lehrlingen und Gesellen verheiratete Lohnarbeiter; die Hausindustrie erzeugte in den italienischen, deutschen, niederländischen, französischen und englischen Städten einen breiten Stand von Leuten, der nur teilweise noch Kleinmeister, überwiegend schon reine Lohnarbeiter darstellte. Auch die Bauarbeiter, die Matrosen, die Berg- und Salinenarbeiter des 15. bis 18. Jahrhun= derts, die Gelegenheitsarbeiter, die Insten, Häusler und andere Tagelöhner auf dem Lande vermehrten da und dort die Schar der verheirateten freien Arbeiter. Überall waren ein gewisser volkswirtschaftlicher Fortschritt Bevölkerungsdichtigkeit, größere Arbeitsteilung, Geldwirtschaft und ähnliches —, dann gesteigerte wirtschaftliche Tüchtigkeit, größere Intelligenz, eine gewisse Hebung der Lebenshaltung der Arbeiter Voraussetzungen, die vorhanden sein oder sich anbahnen mußten, wenn die Sklaverei und Leibeigenschaft der freien Arbeit so an einzelnen Stellen weichen sollte.

Erst die letzten hundert Jahre aber haben die Beseitigung der Hörigkeit in Europa, der Sklaverei in den Kolonialländern gebracht, und zwar nicht sowohl wie früher durch Einzelverträge, Einzelmaßregeln und gewohnheitsmäßige Umbildungen, sondern überwiegend in der Form der Durchführung großer Emanzipationsgesetze, welche von den staatlichen Gewalten angeordnet, im Laufe einiger Jahre oder Generationen die große rechtliche und wirtschaftliche Umbildung voll= zogen. Sie brachten den handarbeitenden Klassen die persönliche Freiheit, die Gleichstellung in bezug auf Ehe, Eigentum, Freizügigkeit, Berufswahl, Vertragsfreiheit mit den übrigen Klassen, sie schufen formell und rechtlich, definitiv und allgemein einen freien Arbeiterstand.

Die Leute, welche bisher als Sklaven oder Hörige in erblicher Abhängigkeit gestanden hatten, die bisher durch die naturalwirtschaftliche Versorgung in ihrer Eristenz gesichert waren, sollten nun in freien, stets kündbaren Verträgen sich eine Stelle verschaffen, sie sollten mit dem wöchentlich oder monatlich gezahlten Geldlohn haushalten, einkaufen, eine selbständige Wirtschaft führen lernen. Auch soweit bisher schon freie Arbeiter existiert hatten, standen sie doch vielfach durch die patriarchalische oder korporative Verfassung, durch Naturallöhne mangelnde Gewerbefreiheit und Freizügigkeit, durch erbliche Sitte

Smoller, Alaffenbildung, Arbeiterfrage, Klassenkampf.

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unter einer analogen Sicherung ihres Lebens wie unter einer gewissen Leitung von oben. Auch sie sollten nun ganz auf sich stehen, durch freie Verträge, durch Geldlohn sich eine gesicherte, gute Existenz schaffen.

Es war die Frage, welche Teile der bisherigen gebundenen, von oben geleiteten Arbeiter moralisch, intellektuell, technisch und wirt= schaftlich ganz reif für die Freiheit waren, in welchen Gegenden und Zweigen des wirtschaftlichen Lebens, in welchen Betrieben die Arbeiter die Ausbildung bereits hatten, um ihre Freiheit richtig zu ge= brauchen.

Gewiß wird man die neuere Emanzipation und Befreiungsgeseh= gebung als einen großen weltgeschichtlichen Fortschritt immer feiern müssen; sie hat auch überwiegend Segen gebracht, war für Millionen Arbeiter angezeigt. Die freie Arbeit hat die erbliche Abhängigkeit der Sklaven und Hörigen, die Fesselung an die Scholle und den ererbten Beruf, die bisherigen harten Strafen und Zwangsmittel, die Behandlung des Arbeiters als Arbeitstier beseitigt. Sie hat alle Arbeiter auf sich gestellt; sie appclliert an eigene Tatkraft und Anstrengung, an die Selbstverantwortlichkeit; sie gibt dem Arbeiter insofern ein Interesse an der Arbeit, als sie eine mehr selbstgewählte, bei besserer Leistung besser bezahlte ist; sie bietet dem mißhandelten Arbeiter die Möglichkeit, dem zu harten Druck, der zu schlechten Behandlung und Bezahlung auszuweichen, andere, bessere Stellen zu suchen. Sie gibt freilich für all das nur Möglichkeiten, deren Erreichung unsicher ist. Aber schon die großen Hoffnungen und die freiere Bewegung mußten viele Kräfte entbinden, weitgehende psychische, sittliche und wirtschaft= liche Folgen haben.

Immer blieb zweifelhaft, wie weit die Einzelnen fähig für die Ergreifung der gebotenen Möglichkeiten waren. Und man darf die Resultate der neuen Freiheit nicht so blind überschätzen, wie es zuerst und teilweise noch heute die optimistischen Illusionen tun. Die persönlich formale Freiheit konnte weder die bestehende soziale Klassenschichtung noch die ganze bestehende Eigentumsverteilung plößlich ändern. Die allgemeinen Geseße mußten die rechtliche Freiheit allen geben, sie griffen Plah, auch wo seit Jahrhunderten geknechtete, abgestumpfte, faule Hörige, wo halbvertierte Sklaven vorhanden waren. Sie konnten diese so wenig wie die etwas höherstehenden Arbeiter zu lauter geistig und körperlich, wirtschaftlich und politisch hochstehenden Menschen, sie innerlich den höherstehenden Klassen gleichmachen. Mochte man Erziehungs- und Übergangsmaßregeln ersinnen, welche man wollte,

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