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mochte man von den freigewordenen Hörigen, Bauern und Insten möglichst viele mit einer Hufe, einem Ackerstück ausstatten oder ihnen einen solchen Besitzerwerb zu erleichtern suchen, eine vollständig neue Eigentumsverteilung und vollends eine alle bisherigen Hörigen oder Sklaven, alle freien Arbeiter mit demselben Besih wie die höheren Klassen ausstattende Neuverteilung war unmöglich, hätte nur das bestehende Eigentum durch Übertragung in unfähige Hände vernichtet.

Das große Problem blieb also immer, wie weit die unteren Klassen für die Freiheit reif waren, wie die neue Rechtsordnung im einzelnen dementsprechend zu gestalten sei; wie die geistig-moralische und die technisch-wirtschaftliche Erziehung der unteren Klassen, welche die Voraussehung günstiger Folgen der Freiheit war, zu fördern und zu vollenden sei; noch mehr, wie man die neue Freiheit und ihre Segnungen in richtige Verbindung bringe mit der praktisch-geschäftlichen, unabweisbaren Forderung, daß die arbeitenden Klassen wie bisher als dienende Glieder den Familien, den ländlichen und städtischen Betrieben, den immer größer werdenden Unternehmungen eingefügt und deren Disziplin, welche mit der Größe der Betriebe notwendig nach ge= wissen Seiten sich verschärfen mußte, untergeordnet werden. Denn die Notwendigkeit einer herrschaftlichen Organisation der wirtschaftlichen Betriebe blieb, wie seit Jahrhunderten, zunächst unverändert bestehen. Ein plößlicher Übergang in genossenschaftliche Betriebe war im 18. und 19. Jahrhundert ganz ausgeschlossen, hat auch gegenwärtig und in Zukunft die größten Schwierigkeiten, gelingt bis jetzt nur einer kleinen, ausgewählten Schar. Die Aufgabe, große herrschaftliche Betriebe mit freien Arbeitern zu organisieren, war und ist psychologisch, sozial, rechtlich und wirtschaftlich das denkbar schwierigste Problem der heutigen Volkswirtschaft. An ihrer Lösung arbeiten wir seit hundert Jahren und werden noch viele Generationen hindurch daran arbeiten.

Würde es sich bei den modernen Arbeitsverhältnissen etwa überwiegend um Einzelverträge handeln, wie sie die Hausfrau mit einem Hausschlächter, einem Weber, einem Schneider oder Tischler schließt, der für eine Stunde zu einer bestimmten Arbeit ins Haus kommt oder dem Garn, Tuch, Holz zur Verarbeitung in seine Werkstatt mitgegeben wird (locatio conductio operis), so wäre von den bestehenden Herrschafts- und Dienstverhältnissen der größere Teil leicht abzustreifen gewesen. Der Arbeitsvertrag über solche Einzelleistungen, über eine Stunde Arbeit, stellt Auftraggeber und Arbeiter in freier, unab= hängiger Stellung nebeneinander. Die Arbeitsverhältnisse sind aber

überwiegend andere; sie seßen voraus, daß der Dienstbote, der Lehrling, der Geselle, der Fabrikarbeiter, der ländliche Tagelöhner, meist auch der Heimarbeiter für Tage, Wochen und Monate dienendes Glied eines sozialen Organs werde, meist nicht bei sich, sondern in dem Hause, dem Geschäftslokal des Arbeitgebers nach seinem Befehl zusammenhängende Arbeitsleistungen verrichte (locatio conductio operarum). Der Arbeiter wird damit seiner Familie für die Arbeitszeit entzogen, er muß der Lebensordnung, der Technik, der Arbeitsteilung des Geschäftes sich eingliedern und unterordnen; den hier herrschenden Sitten und Traditionen, wie den Anordnungen des Unternehmers, der Beamten muß er sich fügen. Seine Wohnung, sein Familienleben, seine Lebensführung, seine ganze Existenz ist so durch das Geschäft, durch die Stelle, die er bekleidet, durch sein Arbeitsverhältnis bedingt, und zwar um so mehr, um so schroffer, je größer der soziale Organismus ist, in den er eintritt, je weniger er über eigenen Besit verfügt, je geringer seine Fähigkeiten, seine technische Ausbildung ist.,

Die fortgeschrittene Arbeitsteilung und die Geldwirtschaft haben es gewiß erleichtert, daß in immer komplizierterer Weise und in immer größeren Organisationen Befehlende und Gehorchende so zue sammenwirken, daß eine Unterordnung in der Dienstzeit sich verträgt mit zunehmender persönlicher Freiheit im übrigen. Aber diese Art des Zusammenwirkens ist doch nicht ohne steigende Konflikte möglich, sett neue Sitten und Ordnungen, seßt klügere, höherstehende Menschen voraus. Und so ist es wohl begreiflich, daß in den Kolonien der Europäer die früheren Herren und die früheren Sklaven vielfach in die Freiheit sich nicht finden konnten, daß die Emanzipation die Volkswirtschaft ganzer Länder erschütterte, daß ein Mann wie Carlyle die englische Sklavenemanzipation für eine verfehlte Maßregel erklärte, daß in Rußland seit 1860, auch in Deutschland nach der Beseitigung der Hörigkeit jahrzehntelang teilweise recht unerquickliche, ja vereinzelt schlimmere Zustände als zuvor eintraten.

Wir werden vielleicht, wenn wir eine allgemeine Schätzung wagen wollen, sagen können, daß der Sieg der freien Arbeit, der von 1500 an langsam beginnt, aber erst von 1789-1870 sich vollendete, wohl nur für das oberste Drittel der Arbeiter von reinem Segen war, daß das zweite Drittel, bisher in Naturalwirtschaft und Bevormundung befangen, lange Jahrzehnte brauchte, um, auf sich selbst stehend, in der neuen Rechtsform seine neuen Interessen richtig zu erfassen, sich der Geldwirtschaft anzubequemen, den freien Arbeitsverträgen

die rechte Form zu geben, und daß ein Drittel, die am tiefsten stehenden, indolentesten Arbeiter in Lebenshaltung und Lebensglück entweder zurückgingen oder ganz verkümmerten, weil sie unfähig waren, sich der neuen höheren Lebensform anzupassen, die technischwirtschaftlichen und die moralischen Fortschritte zu machen, ohne welche die Institution der freien Arbeit nicht günstig wirken kann.

2. Die verschiedenen Elemente des heutigen Arbeiterstandes.

Wir werden im folgenden Paragraphen näher auf die Prinzipien des Arbeitsvertrages zu sprechen kommen. Hier werfen wir im Anschluß an die vorstehende historische Betrachtung einen Blick auf die große Verschiedenheit der Personen, welche heute als Lohnarbeiter bezeichnet werden, Arbeitsverträge abschließen. Alle Beurteilung der auf den Arbeiterstand bezüglichen Fragen wird eine anschauliche und klare nur, wenn man diesen Stand in seine Elemente auflöst; sie bleibt eine doktrinär schiefe, wenn man die Arbeiter als eine unterschiedslose Masse betrachtet, die, des Kapitals und der Arbeitsmittel beraubt, der Knechtschaft des Kapitals unterworfen sei, nur von dieser erlöst werden müsse, um zu wirklich freien, glücklichen, wirtschaftlich vollendet wirkenden Menschen zu werden.

1. Fragen wir zunächst nach der oberen Grenze der Lohnarbeiter, so reichen sie mit der öffentlichen und privaten Beamtenschaft, den angestellten Technikern, Kommis, Werkmeistern überall in die höheren Schichten der Gesellschaft, mit den Hunderttausenden von Klein- und Parzellenbauern, kleinen Handwerkern in Stadt und Land, den Heimarbeitern überall in den Mittelstand hinein. Aber diese beiden Gruppen sind doch nach Besit, Einkommen, sozialer und Rechtsstellung und Art des Erwerbes von den Lohnarbeitern wesentlich verschieden. Der Beamte hat festes Jahresgehalt, gesicherte Lebensstellung, Pension, hängt nicht vom Markt und täglicher Kündigung ab. Ein großer Teil der allein arbeitenden Handwerker, Kleinbauern usw. geht freilich nebenher auf Lohnarbeit oder nimmt, wie die besseren Heimarbeiter, noch eine Mittelstellung zwis schen Kleinunternehmer und Lohnarbeiter ein. Die Grenze wird hier stets fließend bleiben. Aber der Unterschied dieser Elemente von den Lohnarbeitern bleibt doch ein fundamentaler. Wenn auch ein sehr großer, vielleicht der größere Teil der kleinen Landwirte, Gewerbetreibenden und Händler mehr von ihrer Arbeit als ihrer Kapitalrente oder dem Unternehmergewinn leben, so sind sie doch zu

den Lohnarbeitern in ihrer Mehrzahl nicht zu rechnen, sondern hōchstens zu den handarbeitenden Klassen; sie leben nicht vom Lohn, sondern von dem Einzelverkauf ihrer Leistungen und Waren.

Auch unter den Lohnarbeitern selbst haben viele einen kleinen Besih, ein Häuschen, einen Garten, eine kleine Eigenwirtschaft, welche ihnen Gemüse, Kartoffeln, Milch und ähnliches liefert; viele haben auch irgendeine kleine Vermögensrente, in den höheren Arbeiter-, in den Beamtenschichten sogar oftmals eine erhebliche. Viele Tausende von jugendlichen Arbeitern, die den mittleren Gesellschaftsklassen angehören, erhalten von Hause Unterstüßungen und Hilfe verschiedener Art. Wir wissen, daß fast zwei Drittel der statistisch gezählten deutschen Arbeiter unter 30 Jahre alt sind, daß viele von ihnen später in andere höhere Stellungen übergehen. Von den lohnarbeitenden und Gesindedienst verrichtenden Frauen heiratet der größere Teil und geht dann nur noch in geringerer Zahl auf Lohnarbeit. Wir haben nachgewiesen, daß unter den 12 bis 13 Millionen deutscher Arbeiter, welche 1895 in Landwirtschaft, Gewerbe und Handel gezählt wurden, nur etwas über vier Millionen Arbeiterfamilien sind, daß man nur 3,7 Millionen verheiratete Männer unter diesen Arbeitern zählte.

Daraus folgt eine Reihe der wichtigsten Schlüsse. Für alle jùngeren Arbeiter von 14 bis 25 Jahren ist oder sollte der Arbeitsvertrag zugleich ein Erziehungsverhältnis sein; zumal für alle weiblichen unverheirateten Arbeiter in diesem Alter sind Schuhmaßregeln für Sittlichkeit und Gesundheit, für familienartige Unterkunft und Pflege nötig, wenn nicht die schlimmsten Folgen eintreten sollen. Für alle die Arbeiter, die aus irgendeiner Eigenwirtschaft, einem Vermögen, einer Familienbeihilfe Einnahmen beziehen, ist der Lohn nicht die einzige Einnahme. Solche Bezüge sind einerseits sehr erwünscht; eine kleine Eigenwirtschaft beschäftigt Frau und Kinder, hebt Fleiß und Sparsamkeit, verbilligt die Existenz; ein eigener Besih in Sparkasse oder sonstiger Anlage sichert die Zukunft, stellt die Leute dem Mittelstande gleich. Andererseits ermöglichen aber alle diese Beihilfen den Lohndruck und können so dem Arbeiterstand schaden. Doch wäre es gewiß falsch, sie deshalb schlechthin verwerfen zu wollen; man muß nur diese ungünstige Nebenwirkung, den Lohndruck, zu hemmen suchen. Ein möglichst an Eigentum und Besih beteiligter und gut gelohnter Arbeiterstand kann allein Frau und Kinder davor bewahren, zu früh, zu oft, zum Schaden von Familie und Erziehung auf Arbeit zu gehen; er allein kann die hårteste Seite

des heutigen Arbeitsverhältnisses, die Unsicherheit und zu große Abhängigkeit, überwinden.

Zunächst ist freilich eine große Zahl der Lohnarbeiter ohne oder ohne erheblichen, eine Rente gebenden Besih. Und damit, sowie mit der zunehmenden Zahl verheirateter Arbeiter, die ihre Kinder wieder Arbeiter werden lassen müssen, ist die Signatur unseres heutigen Arbeiterstandes gegeben. Darin liegt es begründet, daß die Ordnung der Lohnfrage und die Erziehung des Arbeiternachwuchses den Kern der sozialen Frage bildet.

2. Außer dieser Unterscheidung der Lohnarbeiter nach ihren sonftigen Einnahmen, ihrem Alter und ihrem Familienstand gehört aber zu ihrer vollen Charakterisierung auch eine solche nach ihren ethnischen und psychologischen Eigenschaften, nach ihren Bildungs- und Kulturverhältnissen. Wir werden die unabsehbare Mannigfaltigkeit der Zustände am leichtesten überblicken, wenn wir einige der wesentlichsten ethnisch und historisch erwachsenen Typen des heutigen Arbeiterstandes nebeneinanderstellen.

a) In Kolonien, wo man die Sklaverei aufgehoben hat, in wirtschaftlich sehr niedrigstehenden Ländern, deren Einwohner den sogenannten Naturvölkern noch nahestehen, überall, wo man Neger oder ähnliche Elemente als freie Lohnarbeiter verwenden will oder muß, hat man es überwiegend mit Menschen zu tun, welche vielleicht schon für ihre Eigenwirtschaft zu arbeiten gelernt haben, meist aber auch für sie noch nicht den Fleiß und die Energie der Kulturvölker zeigen, jedenfalls aber der freien Lohnarbeit für andere nicht recht fähig sind. Sie sind träge, sorglos und kurzsichtig, ihre Bedürfnisse sind gering und schwer zu steigern, oft mit leichter Arbeit von ein oder zwei Tagen in der Woche zu befriedigen; häufig ist ein eigener kleiner Besiß für sie ohne weiteres zu erreichen; einen größeren erstreben sie gar nicht. Die Abneigung gegen eine planmäßige ihnen vorgeschriebene, acht bis zwölf Stunden dauernde Arbeit, vollends gegen eine solche in Fabriken, an Maschinen ist oft fast unüberwindlich. Nur etwa die gröbste Feld- und Hausarbeit ist ihnen geläufig; feinere Werkzeuge und Maschinen werden in ihren Händen leicht unbrauchbar. Daher immer wieder Vorschläge zu irgendeinem System des Arbeitszwanges. Nur besonders ge= schickte Maßregeln der Erziehung zur Lohnarbeit, der Gewöhnung an höhere Bedürfnisse, der Anleitung zu Anstrengung und Fleiß, wie sie die Holländer in ihren Kolonien anwandten, vermögen langjam Wandel zu schaffen. Werner Siemens erzählt anmutig, wie

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