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beitsnachfrage; noch mehr, wo sie zurückgeht. Wo sie stockt, die Bc= völkerung noch wächst, die Grundrente noch steigt, die Monopol= gewinne der organisierten Geschäftsaristokratie noch wachsen, be= obachten wir gedrückte Löhne. Wir kommen auf diese Zusammenhänge zwischen Lohn und Gesamtentwicklung der Volkswirtschaft nachher da zurück, wo wir von den großen Schwankungen und Veränderungen der Nachfrage sprechen.

Haben wir im bisherigen angenommen, steigende und fallende Nachfrage nach Gütern bedeute steigende und fallende Nachfrage nach Lohnarbeit, so haben wir jezt zu konstatieren, daß das bis auf einen gewissen Grad, aber nicht überall und jederzeit richtig sei. Die Lohnarbeit ist ein Element der Produktion neben anderen; die Lohnarbeit ist teilweise ersehbar durch Kapital, durch Maschinen. Und wir haben so nach den Ursachen zu fragen, die, innerhalb des Rahmens der bisher geschilderten Vorgänge, die relative Stärke der Nachfrage nach Lohnarbeit gegenüber der Nachfrage nach anderen Produktionselementen bestimmen. Fassen wir diese zusammen unter dem Begriff des Kapitals, so wird man sagen können, es frage sich, ob jeweilig mehr Produkte des Kapitals oder mehr Produkte der Arbeit begehrt werden, ob Kapital oder Arbeit unter den Produktionselementen stärker wachse; nach der relativen Größe dieser Begehrungen, sowie nach den disponiblen Mengen von Arbeit und Kapital bestimme sich die Nachfrage und der Wert der Lohnarbeit, wenigstens in den Ländern der kapitalistischen Großunternehmung, welche in der Regel imstande ist, an die Stelle der Arbeit Kapital, respektive Maschinen zu sehen. Aber mit dieser abstrakten Formel ist das Problem so wenig ganz aufgeklärt, wie mit der an sich richtigen Bemerkung, daß überall da, wo technisch sowohl Arbeit als Kapital für denselben Zweck angewandt werden kann, die Höhe des Zinsfußes oder des Lohnes die Bevorzugung des einen oder anderen Produktionselementes bestimme; allerdings erklärt es sich durch letteren Sah, daß in einem Lande der billige Lohn zum Beispiel Garten- und Handelsgewächsbau, im anderen der billige Zinsfuß zum Beispiel Viehzucht und feine Textil= gewerbe hervorruft oder begünstigt.

Aber um ganz klar zu sehen, müßte man für lange Zeiträume genau. verfolgen können, wie in den einzelnen Zweigen der Volkswirtschaft sich die Nachfrage nach Kapital und Arbeit verschoben hat, und wie derselbe Prozeß sich für die Gesamtheit der nationalen Produktion stellt. Man müßte zugleich nach beiden Richtungen verfolgen, wie mit der Veränderung der Betriebsformen die frühere Arbeit des

Bauern, Handwerkers, Kleinhändlers sich nach und nach zum Teil in Geldlohnarbeit, für die eine Nachfrage auf dem Markt stattfindet, umsett; man müßte für jeden Zweig und die ganze nationale Produktion jederzeit das Arbeits- und das Kapitalangebot kennen. Vielleicht ist heute eine solche Untersuchung vollständig zu machen noch unmöglich. Wohl aber werden wir folgendes sagen können.

Die technisch und betriebsmäßig vollendetsten Produktionen der großen maschinell ausgebildeten Stapelindustrien haben sicher seit 100 Jahren immermehr an Arbeit gespart an Kapital angewandt. Die Löhne machen heute zum Beispiel in der nordamerikanischen Wollindustrie nur noch 16, in der dortigen Baumwollindustrie noch 23 % vom Verkaufswert der Produkte aus, während das Verhältnis vor 50-100 Jahren wahrscheinlich das drei- und mehrfache war. Anders steht es in anderen Industrien; zum Beispiel machen in den schlesischen Kohlenindustrien die Löhne heute noch 46-50 % aus. Es früge sich, wie diese Relation in allen Produktionszweigen sich geändert hat. Es früge sich dann aber weiter, wieviele Prozente des Einkommens und der nationalen Nachfrage zum Beispiel auf Teṛtilwaren fällt, bei denen die Arbeit wesentlich durch Kapital ersetzt wurde, wieviele auf andere Waren und Leistungen, wo das nicht der Fall ist; zum Beispiel im Baugewerbe, in der Landwirtschaft, in vielen Nahrungsgewerben wird das Kapital nicht so vorgedrungen sein. Und daneben steht die steigende Arbeitsnachfrage für das Verkehrs- und Gastwirtschaftsgewerbe, den Lehrer- und Beamtenstand usw. Wir werden so annehmen können, daß der abnehmenden Arbeitsnachfrage in vielen hochstehenden Industrien doch in den volkswirtschaftlich voranschreitenden Staaten eine wachsende Gesamtnachfrage nach Arbeit gegenübersteht. Ich führe zum Beweise für sie nur folgende Zahlen an. Preußen zählte 1816 1,3, 1867 3,9, Deutschland 1882 10,7, 1895 12,8, 1907 17,8 Millionen in Unternehmungen tätige Lohnarbeiter; Giffens Rechnung für das vereinigte Königreich geht dahin: 1836 9 Millionen, 1886 13,2 Millionen Lohnarbeiter mit 171 und 550 Millionen Gesamteinkommen und 19 und 41, Pfd. St. jährlichen Kopfeinkommens.

Auch aus den Berechnungen, welchen Anteil am Gesamteinkommen der Nation die Löhne in verschiedenen Zeiten und Ländern ausmachen, kann man Rückschlüsse darauf machen, ob die zunehmende Kapitalanwendung dauernd in den letzten 200 Jahren die Nachfrage nach Lohnarbeit absolut oder relativ eingeschränkt habe. Aber es würde das hier zu weit führen.

11. Lohnbewegung und Lohnsystem. Ergebnisse.

a) Haben wir uns im bisherigen klarzumachen versucht, wie im ganzen die dauernde Größe von Angebot und Nachfrage auf den Arbeitslohn wirke, so lohnt es sich, zur Ergänzung hier noch zu untersuchen, wie die großen Veränderungen der Volkswirtschaft an sich den Lohn, beziehungsweise das Angebot und die Nachfrage der Arbeitskräfte beeinflussen. Wir denken dabei an die Folgen 1. der Geldwerksänderungen, 2. der Ernte- und Konjunkturschwankungen und 3. an den historischen Aufstieg und Niedergang der einzelnen Volkswirtschaften im Laufe der Geschichte überhaupt.

Es handelt sich um die Wirkungen großer Ereignisse, teils blog wirtschaftlicher, teils halb politischer und halb wirtschaftlicher Art, die von Jahr zu Jahr, mehr noch von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Jahrhundert zu Jahrhundert sich vollziehen, und zwar zum überwiegenden Teil so, daß Individuum und Einzelwirtschaft nicht viel dagegen zu tun imstande sind; selbst die Regierungen und die leitenden Organe der Volkswirtschaft können nur in beschränkter Weise eingreifen, wenn auch gute oder schlechte Gesamtleitung von Staat und Volkswirtschaft immerhin für eine Anzahl der großen Veränderungen mitverantwortlich sind.

Wenn man die Geldwertsänderungen und ihre Rückwirkung auf Preise und Löhne untersucht, so wird man finden, daß das Sinken des Geldwertes 1500-1650 die Arbeiter schädigte, wie das Steigen des Geldwertes (die sinkenden Preise der meisten wirtschaftlichen Güter) 1875-1896 sie begünstigte. In der ersteren Epoche war der Arbeiter wenig fähig, entsprechend den höheren Preisen sich einen höheren Lohn zu erkämpfen; er hatte bei gleichbleibendem Nominallohne einen geringeren Reallohn. Die Geldwertsänderungen von 1650-1850 waren nicht so stark und nicht so allgemein, um sie hier in Betracht zu ziehen; sie waren vielfach mehr Geldwertsausgleichungen zwischen ver= schiedenen, bisher durch keinen großen Verkehr verbundenen Gegenden. Für die Zeit von 1850-1875 nimmt man im allgemeinen ein Sinken des Geldwertes, 1875–1896 ein Steigen, dann eine gewisse Stabi= lität an; von 1905-1914 eher wieder ein mäßiges Sinken. Die Preissteigerung von 1850-1875 hat dem Arbeiter nicht soviel ge= schadet, weil er in den meisten Ländern und Gewerben infolge des sonstigen allgemeinen Geschäftsaufschwunges fähig war, seine Löhne zu steigern. Als dann von 1875 bis gegen 1896 die meisten Preise sanken, ohne entsprechendes Sinken der Löhne in den HauptkulturSchmoller, Klassenbildung, Arbeiterfrage, Klassenkampf.

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staaten, wurde diese große Tatsache die Hauptursache für die Verbesserung der Lebenshaltung der unteren Klassen, für eine Erhöhung des Reallohns. Umgekehrt verhielt es sich von 1896-1914: die Lebensmittelpreise stiegen etwas mehr als die Löhne; wohl stritt man sich darüber, was die Ursache dieser Erscheinung sei; aber daß sie den Arbeiterstand schädige, sah man allgemein ein.

Die großen Erntewechsel erzeugten früher übermäßig billige und übermäßig teure Jahre, jene waren für den Bauern, diese für den Arbeiter schädlich. Häufig folgten sich früher Zyklen von zehn und mehr Jahren, in denen sich ununterbrochen gute oder schlechte Ernten folgten; die ersteren wirkten für die unteren Klassen wie eine Lohnerhöhung, die nachher plöglich wieder verschwand, die letteren wie eine Lohnverkürzung. Die Hausse- und Baisseperioden der neueren Zeit sind wie für das ganze volkswirtschaftliche Leben, so hauptsächlich auch für den Arbeiterstand, von großer Bedeutung. Die Hausseperiode steigert die Löhne, aber meist nicht dauernd; in der Baisseperiode nimmt die Nachfrage nach Arbeit ab, so daß die Arbeitslosigkeit sich bedenklich steigert, am meisten da, wo ohnedies große Wechsel der Beschäftigung stattfinden. In den Vereinigten Staaten gibt es zahlreiche Industrien, in denen regelmäßig ein großer Teil der Arbeiter ein Viertel des Jahres brotlos ist. Aber auch in England und Deutschland greifen die Konjunkturwechsel sehr stark in die Existenz der Lohnarbeiter ein. Dabei wirkt der Wechsel der Nachfrage nicht so stark auf die gewöhnlichen Konsumwaren, wie auf die Produktivmittel: Kohle, Eisen, Maschinen. Die notwendigsten Konsumartikel werden auch in der Krise begehrt, wenn auch etwas weniger infolge des gerin= geren Einkommens. Die Nachfrage nach Produktivmitteln kann aber in großen Krisen fast ganz aufhören. Die in diesen Zweigen der Volkswirtschaft Tätigen werden also am härtesten betroffen. Wir werden bei der Erörterung des Arbeitsnachweises, der Arbeitslosenversiche= rung darauf zurückkommen. Diese dem Wechsel der Konjunktur folgenden Veränderungen der Arbeitsnachfrage gehören zu den dunkel= sten Punkten unserer neuen sozialen Entwicklung.

Wir fügen noch ein allgemeines Wort der Würdigung über Stabilität und Schwanken der Löhne bei. Eine gewisse Stabilität der Löhne ist in dem Maße erwünschter, je prekärer die Lage der Arbeiter an sich ist. In früheren Zeiten, zumal in denen der Naturalwirtschaft war der Arbeiter viel gesicherter: schon die althergebrachten festen Naturalbezüge gaben ihm eine gleichmäßige Eristenz. Bauern- und Gesindeordnungen, ferner die Zunftverfassungen wirkten auf eine ge=

wisse Stabilität, ebenso Sitte und Billigkeit. Wo Lohntaren bestanden, war ihr Hauptzweck, auf eine gewisse Erhaltung der herge= brachten gewohnten, oft allzusehr für gerecht und normal gehaltenen Löhne zu wirken.

Erst als die ältere Normierung der Löhne mit dem Siege der liberalen Freiheitslehren zurücktrat, die moderne Konkurrenz sich ausbildete, die älteren patriarchalischen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeiter verblaßten, entstand im Laufe des 19. Jahrhunderts der harte Lohnkampf mit seinen Schwankungen und Bitterkeiten. Der Arbeiter erfuhr erst jezt, wie leicht ihn die tägliche Entlaßbarkeit zum Bettler machen könne, was es bedeute, wenn die Löhne in wenigen Jahren um viele Prozente, ja ums Doppelte steigen und wieder fallen. Es wird berichtet, bei den englischen Schiffskeffelbauern habe der Jahresverdienst zeitweise zwischen 50 und 300 Pfd. St. ge= schwankt.

Immer sind diese Schwankungen nur in wenigen, hauptsächlich in Exportgewerben so groß; die Baugewerbelöhne, die Löhne der Ma= trosen sind entsprechend den großen Konjunkturschwankungen in diesen Berufen auch sehr erheblich. Im ganzen hat aber die Einsicht in die großen Schäden dieser Schwankungen nach Hilfsmitteln dagegen ge= drängt, wie sie zum Beispiel in den gleitenden Lohnskalen liegen, auf die wir gleich zurückkommen. Die Gewerkvereine haben mit Energie gegen die Schwankungen gekämpft. Der unbedingte Glaube an den Segen der freien Konkurrenz auf dem Lohnmarkt ist fast verschwunden. Die Löhne sind seit den leßten dreißig Jahren in Europa wieder stabiler geworden als 1800-1875. Das englische Arbeitsamt berichtet, die starken Lohnschwankungen beschränkten sich heute mehr und mehr auf die Berg-, Maschinen- und Schiffsbauarbeiter.

Immer wird man sagen können, eine Beseitigung aller Lohnschwankungen sei nicht möglich und auch volkswirtschaftlich und sozialpolitisch nicht eigentlich erwünscht. Diese Schwankungen sind die Regulatoren der Arbeiterwanderungen, des Zuflusses und der Abwendung der jungen Arbeiterkreise zu und von bestimmten Berufen. Sie wirken in gewissem Sinne erziehend: die Arbeiter lernen in der günstigen Konjunktur für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, in der ungünstigen für Erhaltung der bestehenden zu streiten.

Wir kommen endlich zum wichtigsten Punkt, den wir schon öfter berührten, soeben noch bei Erörterung der Nachfrage: zur Gesamtent= wicklung der Volkswirtschaft. Der ganze Inhalt der Abschn. 7. u. 8. über die Geschichte der Löhne ging dahin: die Löhne steigen bei rasch

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