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Bürger, jedes Mitglied einer Hilfskasse sich einkaufen konnte, in die aber hauptsächlich die Hilfskaffen Einzahlungen für ihre Mitglieder im ganzen machten und dafür erhebliche Staatszuschüsse erhielten. Die Rentenbezieher waren bis Ende 1872 auf 29 383 (mit 6-7 Milli= onen Fr. Rente) gestiegen. Daneben verteilten auch noch viele Hilfskassen direkt, je nach ihren Überschüssen, Altersrenten an alle Mitglie= der. Wir fügen gleich bei, daß Ende 1896 die Zahl der Rentner, die Renten von der Alterskaffe bezogen, auf 208 241 mit 33,3 Millionen Fr. gestiegen war, daß aber unter 1,29 Millionen Rentenbeziehern von 1852-1896 nicht ganz eine halbe Million Arbeiter waren, die übrigen aus kleinen Rentiers, Beamten, Eisenbahn- und Chausseebediensteten, Handwerkern usw. bestanden. Die ebenfalls für die Arbeiter bestimmte staatliche Lebens- und Unfallversicherungskasse (1868 gegründet) blieb noch bedeutungsloser; sie hatte 1868–1896 es auf 2571 Einzel- und 1647 Sammellebensversicherungen mit ein paar Millionen Fr. Kapital und auf jährlich etwa 1416 gegen Unfall versicherte Personen gebracht (1868); bis Ende 1896 waren im ganzen 369 654 versichert worden.

Die Republik hat die polizeiliche Einschränkung der sociétés de secours mutuels seit 1870 etwas ermäßigt, sie aber erst nach langen, 17 jährigen parlamentarischen Kämpfen am 1. April 1898 unter ein liberales Gesez gebracht, das ihnen eine Ausdehnung ihrer Zwede und die Bildung von Unionen gestattet, aber ihre Versicherungstechnik nicht auf ganz befriedigenden Boden stellt. Das wachsende praktische Bedürfnis hatte sie 1875-1900 wesentlich vermehrt; es bestanden in den lezten Jahren zwar zirka 12 000 Kassen, ihre Mitglieder werden aber auf nur 1,6–2,5 Millionen (lektere Zahl nach Cheysson) angegeben; darunter 250 000 Ehrenmitglieder, 550 000, welche professionelle Vereine bilden, 200 000 Meine Unternehmer, 200 000 Beamte, im ganzen 6-700 000 gewerbliche Lohnarbeiter, 4-500 000 Ange= stellte aller Art. Im Jahre 1908 bestanden 19815 Vereine mit 4,6 Millionen Mitgliedern; fast mehr Angestellte und kleine Geschäftsleute als Arbeiter. Das Vermögen war 1886 auf 139, 1896 auf 227, 1908 auf 510 Millionen Fr., die Jahreseinnahme 1895 auf 24-25 Millionen gestiegen, wovon 12,5 Millionen für Krankenversicherung (6 Krankengeld, 3 ärztliche Hilfe, 3,5 Arznei) ausgegeben wurden. Das Resultat ist kein großes, auch wenn man in Rechnung zieht, daß Frankreich noch heute einen so großen Kleinbürgerstand hat, der der Versicherung oder gar dem staatlichen Versicherungszwange die Sparkasse oder den Erwerb eines Ackerstückchens vorzieht.

8. Die Durchführung der deutschen Arbeiterverficherung: Ursprung. Die Krankenversicherung.

In Deutschland trat das Bedürfnis der Arbeiterversicherung später hervor als in Westeuropa; die große Industrie und die Bildung eines Lohnarbeiterstandes kamen später; die ländlichen Lohnarbeiter be= hielten zum größeren Teil bis und über 1850 hinaus naturalwirt= schaftliche Jahresbezahlung und lebenslänglichen herrschaftlichen Unterhalt. Soweit ein Bedürfnis nach Hilfskaffen vorhanden war, hatten sich die alten Einrichtungen erhalten. Den älteren gilde- und zunftmäßigen Hilfskassen hatte die bureaukratische Polizei wohl ihre Feste · und Gelage und damit einen Teil ihrer Anziehungskraft genommen, aber keine Revolution hatte sie vernichtet; sie erhielten sich mannigfach. auch, wo die Gewerbefreiheit gesiegt hatte. Die schon im 16. Jahrhundert vorhandenen Bruderladen der Bergarbeiter, gespeist durch die Büchsenpfennige der Knappen und bald auch durch einige Freikuren (Anteile) der Werke, gaben Unterstüßungen aller Art; außerdem aber drang der gräflich Schlicksche Grundsaß der Joachimsthaler Werke mehr und mehr in alle Bergordnungen ein, nämlich daß fündige Zechen den kranken Arbeitern acht, unfündige vier Wochen lang Lohn und Arztgeld zu reichen hätten. Und als von 1700-1854 der Erwerbstrieb moderner Unternehmer und die Auflösung der alten Knapp= schaften diese heilsamen Einrichtungen bedrohten, da griff schon Friedrich der Große (zum Beispiel 10. Mai 1767 für Bergwerke in CleveMark) und später die preußische Verwaltung von 1815-1848 rettend und zwingend durch; in den westlichen Provinzen wurden diese Kassen erst 1839-1842 unter großem Widerstand der Unternehmer in allen Werken eingeführt. Minister von der Heydt unifizierte und legalisierte dann diese Reform durch das Gesetz vom 10. April 1854: alle Berg-, Hütten- und Salinenwerke mußten nach ihm, zu geographischen Verbänden vereinigt, solche Knappschaftskassen errichten, und alle ihre Arbeiter mußten beitreten; Werke und Arbeiter zahlen Beiträge, die ersteren nach und nach fast so hohe wie die letteren. Alle – auch die unständigen Arbeiter erhalten dafür Krankenlohn sowie Kur und Arzenei und ein Begräbnisgeld; die ständigen daneben noch Invaliden-, Witwen- und Waisenpension, Schulgeldbeihilfen, außerordentliche Unterstüßungen. Die Verwaltung ist eine gemeinsame. Im Jahre 1867 besaß Preußen 85 solcher Kassen mit 174 000 Berg= arbeitern, Ende 1912 62 mit 904 817 (davon weiblich 12 123); damals hatten sie 10,5, Ende 1912 schon fast 350 Millionen Mark Vermögen ;

damals 4,6 Millionen, jezt 125,24 Millionen Jahreseinnahme; Ende 1912 empfingen 84 009 Invaliden, 69 820 Witwen und 53 653 Halbund 3450 Vollwaisen Pensionen im Gesamtbetrag von 381 Millionen neben 37 Millionen Ausgabe für Krankenpflege. In einzelnen Vereinen hat man die Pensions- und Krankenkassen getrennt. Da der Beitrittszwang und die Blüte des Bergbaues steigende Beteiligung garantiert, hat man von einer strengen Durchführung der Versicherungstechnik ohne Gefahr Abstand nehmen können. Für die nichtpreußischen deutschen Bergwerke (mit zirka 50 000 Arbeitern) wurde von 1860-1900 im ganzen eine ähnliche Geseßgebung erlassen. Auch Österreich folgte 1854 und 1889. Die ganze Institution leidet wohl etwas daran, daß die Teilnahme der Arbeiter an ihr nicht entsprechend belebt wurde; die Klagen über zu geringe Rechte, über das Wahlsystem für die Arbeitervertreter, über Sicherung der Ansprüche bei Austritt aus dem Lohnverhältnis sind stetig gewachsen ; aber im ganzen hat sie sich doch so bewährt, daß sie in den Augen der besten deutschen Unternehmer und der Regierungen ein ideales Vorbild für alle Arbeiterversicherung wurde. Die Kassen der Eisenbahnen und anderen Großunternehmungen wurden überwiegend danach gebildet; in der öffentlichen Debatte wurde 1850-1890 immer wieder auf sie hingegewiesen. Die Ausbildung von städtisch-gewerblichen Krankenkassen mit Beitrittszwang von 1846-1866 wäre ohne diesen Vorgang wohl kaum erfolgt.

Die preußische Gewerbeordnung von 1845 sorgte für Erhaltung und Neubildung der Gesellenunterstützungskassen, erlaubte einen ortsstatutarischen Beitrittszwang für zünftige und nichtzünftige Gesellen, für Zunftmeister und Fabrikarbeiter. Das Gewerbegeseh vom 9. Februar 1849 ergänzte und verschärfte diese Bestimmungen, verfügte die ortsstatutarische Möglichkeit, die Unternehmer zu Beiträgen in halber Höhe der Arbeiterbeiträge zu zwingen und die Einziehung der beiderseitigen Beiträge den Gewerbetreibenden zu übertragen. Und als die Ortsbehörden, gehindert durch die Abneigung der Unternehmer, zōgerten, griff von der Heydt energisch durch (Geseß vom 3. April 1854) und schuf die Möglichkeit eines Beitrittszwanges zu den Krankenkassen außer durch Orts-, auch durch Statute der Bezirksregierungen für weite Bezirke. Es wurde nun mit Energie von diesen Befugnissen Gebrauch gemacht; viele humane Arbeitgeber, zumal die noch wesentlich unter kirchlich-religiösem Einfluß stehenden, suchten von selbst mehr und mehr Kranken- und Sterbekassen für ihre Werke zu errichten. Und so sehen wir von 1854-1874 eine steigende Zahl von

solchen Hilfskassen sich bilden, die meisten schon durch Ortsstatute mit dem Beitrittszwang versehen. Es waren einerseits Kranken- und Sterbekassen für die Arbeiter bestimmter Berufe und Gewerbe, die jeweilig an einem Orte mit Beitrittszwang arbeiteten (Ortskrankenkassen), andererseits Kassen, in welche die Arbeiter eines bestimmten Unternehmens eintreten mußten (Betriebskassen), welche unter einer patronisierenden Leitung der Arbeitgeber standen. Man schäßt die Zahl dieser beiden Arten von Kassen:

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In ganz Deutschland werden um 1874 schon gegen 10 000 Hilfskassen aller Art mit etwa 2 Millionen Mitgliedern bestanden haben. Mehrere Staaten hatten die preußische Gesetzgebung von 1854 nachgeahmt. Auch etwa 350 000 selbständige Gewerbetreibende (Zunftmeister) werden bis zur Gewerbeordnung von 1869 in den Kassen gewesen sein; außer den Zwangskassen gab es freie mit nicht zu großer Mitgliederzahl und solche, welche unter dem Landesrecht der einzelnen Staaten oder auf Grund besonderer Privilegien entstanden waren. Die Zwangskassen mögen 1874 ein Vermögen von 40-50 Millionen Mark gehabt haben. In Süddeutschland, wo es nur eine geringere Zahl Betriebskassen gab, hatten die Gemeinden das Recht erhalten, von allem Gesinde und allen Arbeitern dafür einen Beitrag zu erheben, daß sie in kranken Tagen freie Verpflegung durch die Ge= meinde erhielten; man war hier mit dieser Einrichtung zufrieden.

Mochten die Staatsbehörden bei Durchführung dieser Veranstaltungen in Nord und Süd wesentlich an eine Erleichterung der sonst zu sehr wachsenden Armenlast gedacht haben, mochte bei von der Heydt und anderen maßgebenden Persönlichkeiten in Preußen der Gedanke mitgespielt haben, durch die Betriebskassen und die Beiträge der Arbeitgeber die Autorität der lekteren zu stärken, mochte die Verwaltung vieler Zwangskassen im Anfang recht unvollkommen sein, mochten sie noch lange nicht alle Arbeiter umfassen, und die Arbeiter oft ihre Rechte durch Stellenwechsel verlieren, das ganze System hatte sich doch so eingelebt, hatte materiell so wohltätige Folgen erzeugt, daß selbst die ganz liberal gefärbten Bundesregierungen 1868–1878 keinen Augenblick ernstlich daran denken konnten, durch Aufhebung des nun seit über 20 Jahren bestehenden Beitrittszwangs die gewohnten Einrichtungen zu gefährden. Der konsequente politische und wirtschaftliche Liberalismus forderte diese freilich. Er sah in den eng

lischen freien Hilfskaffen sein Ideal; man kannte damals deren Schattenseiten noch nicht. Aber er konnte in der Gewerbeordnung von 1869 nur die Aufhebung des Beitragszwanges für die selbständigen Ge= werbetreibenden und für diejenigen Arbeiter durchsehen, die einer anderen freien Hilfskasse angehören, und im Jahre 1876 die beiden Gesete vom 7. und 8. April. Das letztere hielt die Einführung des Kassenzwanges durch Ortsstatuten aufrecht; das erstere gab Normativbestim= mungen, nach denen sich von da an die örtlichen Zwangskassen wie die freien Kassen richten sollten, die als eingeschriebene Hilfskaffen rechtliche Persönlichkeit erwarben, und deren Mitgliedschaft von der Teilnahme an den Zwangskassen befreite. Die unter das Geseß sich stellenden Kassen mußten eine bestimmte Verfassung, bestimmte Organe haben, mußten sich auf Krankenversicherung und Sterbegeld beschränken, mußten die erhobenen Beiträge und Leistungen innerhalb gewisser Marimal- und Minimalgrenzen halten; sie waren einer gowissen Aufsicht und periodischen technischen Prüfung unterstellt. Soweit die freien eingeschriebenen Kassen mit Arbeitervereinen verbunden waren, nahm das Geseß den Vorständen das Recht, Mitglieder von der Kasse auszuschließen, wenn sie aus dem Verein austraten oder ausgeschlossen wurden.

Der Erfolg dieser liberalen Gesetzgebung war, daß nur wenige neue Kassen entstanden, daß auch von den bestehenden freien Kassen nur eine mäßige Zahl sich einschreiben ließ, daß aber die bestehenden Zwangskasser auf Grund der reformierten Ortsstatute sehr verbessert wurden und an Zahl weiter zunahmen. Die Erwartungen der Freunde eines freien Kassenwesens nach englischem Muster waren enttäuscht. Für die Bundesregierungen und die Freunde einer energischen Sozialreform lag in dem Resultat ein wesentliches Motiv, auf dem früher beschrittenen Wege weiter fortzugehen. Die Idee eines allgemeinen gesetzlichen Kassenzwanges und der Übertragung der Arbeiterversicher rung möglichst auf öffentlich-rechtliche Korporationen mit genoffenschaftlicher Verfassung gewann in der Arbeiterversicherungsgejetgebung von 1883-1889 ihre definitive Gestaltung, obwohl starke praktische und ideale Interessen sich dieser Wendung entgegensekten. Das private Versicherungsgeschäft, die individualistische Nationalökonomie und der politische Liberalismus wetteiferten, die segensreichen Folgen freier Geschäfts- und Vereinstätigkeit, die Schädlichkeit bureaukratischer Schablonen und Zwangsmaßregeln zu schildern. Am geistvollsten bekämpfte Brentano den geseßlichen Zwang im Arbeiterversicherungswesen: die auf Freiheit und Selbstverantwortlichkeit basierte heutige Wirtschaftsordnung müsse eine einheitliche für den

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