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Die Arbeitsvermittlung der Gemeinden wurde zuerst von der Sozialdemokratie schroff abgelehnt, wie die Tarifverträge; bald be= schlossen die Gewerkschaften das Entgegengesette. Die radikaleren örtlichen Gewerkschaftskartelle wollten der Sozialdemokratie die Leitung der Streiks übertragen; es wurde sofort energisch von den Gewerkschaften abgelehnt. Die Zunahme bezahlter Beamten erschien den Extremen verdächtig; sie nahmen 1902-1911 von 433 auf 2948 in den freien Gewerkschaften zu. Die Maifeier und den Generalstreik beurteilte die Majorität der Gewerkschaftler viel vernünftiger als die Partei. Immer mehr siegte bei den Gewerkschaften der Grundfaß der politischen Neutralität: Leute aller Parteien sollen aufgenommen werden. Je mehr das geschieht, desto eher ist auch die Möglichkeit vorhanden, daß die freien Gewerkschaften mit anderen, hauptsächlich den christlichen und konfessionellen, zusammenwirken. Vor allem aber hat zuleßt die große Vermögenszunahme der Gewerkschaften sie in die Bahnen praktischer Gegenwartspolitik hinübergeführt. Während die politische Partei 1912 etwa 1 Million Mark Vermögen besaß, betrug das der Gewerkschaften in Millionen Mark: der fon- der der unalles zus. der wirtsch. freien chriftlichen fesfionellen deutschen abhängigen friedlichen 1900 7,0 9,4 0,25 1913 97,7 80,3 0,6

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0,76

4,5

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Ich füge noch bei, daß die größte deutsche Gewerkschaft, die wohl auch die größte der Erde ist, mit 404 016 Mitgliedern 1910 und 544934 1913 im lehteren Jahre allein 18,5 Millionen Vermögen hatte. Wir kommen auf die Bedeutung eines solchen Vermögens und einer solchen Verwaltung zurück.

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Auf die Entwicklung der Gewerkvereine der anderen Kulturstaaten einzugehen, verbietet uns der Raum. Im ganzen zeigen die bes sprochenen Typen die Gesamtrichtung wie die Abweichung im einzelnen. Eine vergleichende Statistik der Gewerkvereinsstatistik hat in ihren verschiedenen Grundlagen und Abgrenzungen große Schwierigkeit. Aus einem Versuch des Reichsarbeitsblattes für 1910 seien die paar wichtigsten Zahlen über Mitglieder und Vermögen ange= führt, wobei aber die Vermögenszahlen teilweise nur auf 31-99 % der Vereine sich beziehen.

Deutsch. Groß. Verein. land britannien Staaten 2,43 2,05 Vermögen 66,7, Mt. 104,5

Mitglieder 3,45 Mill.

Italien

Öster. Schwe. Nieder- Dänereich den lande mark

0,93

0,62 0,12 0,15 0,12 10,5 1,22 2,77 4,59

Das sind die für die acht Staaten mit je mehr als 0,1 Million Organisierter sich ergebenden Zahlen. Für sieben andere Staaten sind noch die organisierten Arbeiter angeführt; in den 15 Staaten zusammen beziffert das Reichsarbeitsblatt die Gesamtzahl der Organisierten für 1910 auf 11,36 Millionen.

13. Die Verfassung und Politik der Gewerkvereine, die Arbeitseinstellungen, Boykotts, Strafmittel der Vereine.

Nach dem Überblick über das Recht der Gewerkvereine und ihr äußeres Wachstum haben wir nun ihre Verfassung und Politik, ihr inneres Leben, ihre Kampfmittel zu betrachten. Erst damit kommen wir zum tieferen Verständnis des großen sozial-historischen Prozesses, der in der Bildung der Gewerkvereine liegt. Erst damit lernen wir verstehen, warum die konservativen Staatsgewalten und die ältere Unternehmerwelt sie lange nicht dulden wollten und bekämpften, die radikale Sozialdemokratie sie als Halbheit verachtete, nur die ge= mäßigte Sozialreform sie verstehen lernte, ihre Tätigkeit am frühesten troh ihrer Auswüchse anerkannte und förderte. Schon unser historisch-geographischer Überblick hat uns ja gezeigt, welch zeitlich und örtlich verschiedene Spielarten und Organisationen der Name ,,Gewerkverein“ bezeichnet. Die Ausbildung gut organisierter, maž= voll handelnder Vereine konnte sich nur in Jahrzehnten vollziehen. In einer Epoche ungeheurer volkswirtschaftlicher und sozialer Umbildung konnten die Gewerkvereine erst langsam aus dem rohen Mate= rial der tiefstehenden unteren Klassen heraus entstehen und vernünftig werden. Es handelte sich nicht bloß um ganz neue Organisationen, Einrichtungen und Sitten, sondern um die ganze geistige und geschäftliche Erziehung halbkultivierter Massen; auch bei den Arbeit= gebern um die Erziehung zu ganz neuen sozialen Einrichtungen und Rechtsverhältnissen.

a) Die Arbeiter, die zuerst allgemein, aber auch heute noch teilweise in Frage standen, waren und sind verarmte Proletarier, mit keiner oder geringer Schulbildung, vielfach dem alten Kirchenglauben entfremdet, an dessen Stelle nichts als etwa einige unklare soziali= stische Hoffnungen getreten waren. In den Lohnkämpfen übernahmen teils die jugendlichen, teils die robusten, zu Gewalt neigenden Ele= mente zunächst die Führung. Unternehmer und Arbeiter standen sich lange ganz verständnislos gegenüber. Die Unternehmer sahen bei den Arbeitern nur Unbotmäßigkeit, Roheit, Neigung zu Gewalt; die Arbeiter bei den Unternehmern nur Unrecht, Härte, Geldstolz, Hab=

sucht. Die Arbeiter erblickten in ihrer immer schlechter werdenden Lage nur die Folge der nach ihrer Ansicht mit Unrecht eingeführten wirtschaftlichen Freiheit. Die Unternehmer glaubten, nur die Erhaltung patriarchalischer Zustände könne sie retten. Noch 1890 rief der Generalsekretär der deutschen Großindustriellen: „Die allgemeine Organisation der Arbeiter bedeutet die Herrschaft der rohen Gewalt, der selbstsüchtigen Leidenschaften.“ In den chiliastischen Hoffnungen des Sozialismus, die von 1780 an bis zum heutigen Syndikalismus die Arbeiter immer wieder betörten, sahen Regierungen und Unternehmer zunächst nicht ohne ein gewisses Recht nur Verführung zu Revolution, Störung und Vernichtung des wirtschaftlichen Fortschrittes.

Auf seiten der Arbeiter und der Unternehmer war lange gegenseitige Unkenntnis und Leidenschaft, statt ruhiger Überlegung und Verstand maßgebend. Die Leidenschaften siegten bei den Arbeitern um so mehr, als sie sich zuerst fast nur in geheimen Verschwörungen oder in großen Volksversammlungen zusammenfanden und Beschlüsse faßten. Brutale Demagogen leiteten sie, Epochen der chronischen, unverständigsten Arbeitseinstellungen, der Gewaltakte, der Maschinenzerstörung, der Fabrikbrände, auch der Morde und Attentate kennzeichnen lange die Erhebung der Arbeiter. Gegen 1800 wurden die englischen Fabriken mit Kanonen armiert; ähnliches war 1840 bis 1848 ebenda nötig; in Amerika schufen sich die Riesenfabriken noch neuerdings in den sog. Pinkertonleuten eine Art Privatregimenter als Schutzwache. Die Anweisungen des Syndikalismus zu schlechter, langsamer Arbeit, zur Sabotage, d. h. zur Maschinenzerstörung und zu Explosionen sind die späten Nachwehen dieser Art des Kampfes. Wo neue rohe, gewalttätige Arbeiterelemente in den Kampf eintreten, wo sie durch Fanatiker verheßt sind, wiederholen sich heute noch die Flegeljahre der Gewerkvereinsbewegung. Sie bleiben eine Gefahr, die Schäden von Millionen anrichten, ganze Industrien vorübergehend lähmen oder dauernd vernichten, zu Revolutionen führen können.

Der Übergang von dieser ersten Epoche der rohen Arbeitskämpfe zu der späteren des friedlichen Verhandelns seßt nun aber nicht bloß die Änderung fast aller Geschäftssitten und der wichtigsten Geschäftseinrichtungen, sondern auch die schwierige Einschulung der Arbeiter in die Bahnen ruhiger Gewerkvereinsentwicklung, eine tiefgreifende psychologische Veränderung aller Beteiligten, einen Erziehungsprozeß von einigen Generationen voraus.

Er wird leichter gelingen, wo ein nüchterner Volkscharakter sowie eine feste Staatsgewalt über den Klassen vorhanden ist, wo cine rassenmäßig hochstehende Arbeiterklasse durch frühe Schulbildung, Militärpflicht, gerechte Verwaltung, zeitgemäße soziale Reformen gehoben und diszipliniert wurde, wo eine vernünftige und gerechte öffentliche Meinung die Übertreibung beider Teile zurückweist, wo zunächst einzelne hochstehende und humane Unternehmer mit Verständnis der Zeit die Arbeiterbehandlung verbessern. Aber man darf nicht vergessen, wie vielfach und wie lange diese Voraussekungen überwiegend fehlten; wie gerade auch die Fortschritte zu wirtschaftlicher Freiheit, zur Unternehmerfreiheit wie zur Koalitions- und Vereinsfreiheit der Arbeiter, zur Preß- und Versammlungsfreiheit zunächst leicht die Erregungen, auch da und dort den Egoismus und die Habsucht steigerten, zu Ausschreitungen hüben und drüben Anlaß geben konnten, wie aus den kleinen Arbeitseinstellungen mit der Zeit große und riesenhafte wurden, und diese die Leidenschaften immer wieder außerordentlich steigern mußten. Die sozialen Kämpfe haben überall mit der Verstärkung und Vergrößerung der beiderseitigen Verbände zunächst zugenommen. Umfangreiche Schädigungen großer Gebiete, ja ganzer Volkswirtschaften sind gerade von 1890 bis heute wiederholt durch Ausstände eingetreten, obwohl das Koalitionsrecht schon da und dort richtiger gestaltet, Schiedsgerichte längst eingerichtet worden waren, obwohl in den Arbeiter- wie in den Unternehmerverbänden auf Grund langjähriger Erfahrungen schon mancherlei Fortschritte gemacht worden waren. Die Schwierigkeiten und Probleme waren eben zunächst noch mehr gewachsen, als die inneren Fortschritte der Organisation und die erzieherische Umbildung der beteiligten Personen.

b) Von den Unternehmerorganisationen und den Schiedsgerichten sprechen wir weiter unten. Von der Umbildung der Gewerkvereine und der Arbeiter haben wir hier zu handeln.

Wir gehen aus von den Tatsachen, daß zuerst Verschwörungen und Volksversammlungen die auf der Arbeiterseite stehenden sozialen Organe waren, daß erst langsam dauernde Arbeitervereine an die Stelle traten. In den Verschwörungskonventikeln herrschten eraltierte Phantasten, in den großen Versammlungen redegewandte Demagogen, welche die Leidenschaften entflammten, überwiegend zu falschen Beschlüssen führten. Nur wo dauernde Vereine die Sache in die Hand nahmen, konnte es besser werden. Zu solchen und zu dauernden Beiträgen, zum Verharren bei der Fahne waren die

Arbeiter erst schwer zu bringen. Noch heute ist bei den größten deut= schen Gewerkschaften der jährliche Aus- und Eintritt übergroß, schadet er sehr viel. Um die Arbeiter zum Beitritt zu gewinnen, muß man ihnen nicht bloß vage Zukunftshoffnungen bieten, sondern auch greifbare Vorteile, wie Arbeitslosen- und andere Unterstüßungen und die Erwartung auf siegreiche Lohnkämpfe. Es mag sein, daß zu Anfang auch sozialdemokratische Verheißungen ein brauchbares Aufrüttelungsmittel waren, daß in Zeiten des gewerkschaftlichen Stillstandes, der mißlungenen Arbeitseinstellungen die Führer leicht zum Glauben kamen, nur durch solche sozialistische Reizmittel die Leute festhalten zu können. Auf die Dauer aber, bei steigender Einsicht der Arbeiter, müssen die praktischen, erreichbaren Ziele das Lockmittel sein und immer mehr werden.

Bei geringen Beiträgen große Leistungen versprechen, war im Anfang fast immer ein Versuch der Anlockung, der später viel Schwierigkeiten machte, da er zunächst zu Enttäuschungen führen mußte. Das Wichtigste waren aber teils begeisterte, teils energische Männer, die die Leute gewannen und festhielten, waren die Führer, die, meist aus dem Kreise der Betreffenden hervorgegangen, zu einer Arbeiteraristokratie und zu einem Arbeiterbeamtentum wurden und durch ihre Tätigkeit auch die Verfassung der Gewerkvereine mehr und mehr umgestalteten. Die Webbs haben diese Umgestaltung in England bis in die 90er Jahre trefflich geschildert. Ich sage im Anschluß an sie ein Wort über die englische Umbildung.

Die älteren kleineren, 30-300 Mitglieder umfassenden Ortsvereine ließen ursprünglich ihre wenigen Ämter im Wechsel bei allen herumgehen; alle Entscheidungen traf die Versammlung. Jede kleine Gemeinde, jeder kleine Verein verfährt so urdemokratisch, kommt ohne Beamte, ohne Aristokratie aus. Wurden die Gewerkvereine aber größer, so bildete man am selben Ort mehrere Zweige nach Stadtteilen; man stellte die Leitung der an verschiedenen Orten be= findlichen Vereine abwechselnd unter einen lokalen Zwang und seine wechselnden Vorsitzenden. Mit den wachsenden Geschäften, den immer schwieriger werdenden Verhandlungen aber zeigte sich das System immer unhaltbarer, zeigte sich die Urabstimmung von 20 bis 80 000 über ein großes Land zerstreuten niemals gleichmäßig unterrichteten Arbeitern immer verhängnisvoller. Ein repräsentatives System entstand: eine jährliche Delegiertenversammlung, ein ge= wählter Ausschuß bekamen die Zentralleitung in die Hand; 600 bis 700, auf 1-2 Jahre gewählte, aber tatsächlich lebenslängliche Be=

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