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Zu den Problemen der deutschen Verfassungsgeschichte, die noch immer eine befriedigende Lösung nicht gefunden. haben, zählt unter anderem auch die Entstehung der Landgerichte. Und doch handelt es sich dabei um Gebilde, welche durch Jahrhunderte die örtliche Grundlage für die Verwaltung der deutschen Territorien darstellten, auf denen insbesonders auch im bayrisch-österreichischen Rechtsgebiete bis ins 18., ja teilweise bis ins 19. Jahrhundert die politische und gerichtliche Verwaltung beruhten, an die sich vielfach auch noch die heutigen Verwaltungssprengel anschließen. Als etwas Fertiges treten uns die Landgerichte im 13. Jahrhundert entgegen. Für Bayern liegt bereits in dem ältesten wittelsbachischen Saalbuche, das zwischen 1221 und 1228 entstanden ist, eine Aufzählung der Ämter oder Landgerichte vor, und die österreichischen Quellen derselben Zeit lassen ebenfalls den Bestand von Landgerichten erkennen.3

Daß diese Gebilde an die Stelle der älteren Grafschaften getreten sind, daß sie Trümmer von Grafschaften vorstellen, darüber kann kein Zweifel bestehen. Werden sie doch selber

1 Nach einem Vortrag, gehalten auf der Versammlung der deutschen Historiker in Salzburg 1904.

2 Monumenta boica 31, 1, 1 f.; Riezler, Geschichte Bayerns 1, 178; Rosenthal, Geschichte des Gerichtswesens und der Verwaltungsorganisation Bayerns 52f.

3 Über die österr. Landgerichte vgl. Luschin, Geschichte des älteren Gerichtswesens in Österreich ob und unter der Enns 103 f.; Ders., Österr. Reichsgeschichte 193; Huber-Dopsch, Österr. Reichsgeschichte 64 f.; Werunsky, Österr. Reichs- und Rechtsgeschichte 55, 245; Bachmann, Reichsgeschichte 2, 119; Hasenöhrl, Österr. Landrecht 166 und 173 f.; Richter, Zur historischen Geographie des Hochstifts Salzburg, Mitteil. des Inst., Ergänzungsbd. 1, 590 f.; Egger, Die Entstehung der Gerichtsbezirke Deutschtirols, ebendort 4, 373; Krones, Verfassung und Verwaltung des Herzogtums Steiermark 126, 391 f.; Mell, Der comitatus Liutpoldi, Mitteil. des Inst. 21, 385 f.; Die Anmerkungen in der Weistümer-Ausgabe der Akademie der Wissenschaften.

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nicht selten als Grafschaften bezeichnet. Aber die Ursachen, welche zu dieser Zersplitterung führten, die Momente, welche auf die Bildung und räumliche Abgrenzung der Landgerichte gewirkt haben, liegen nicht so klar zutage. Denn die Entwicklung fällt in eine Zeit, in der urkundliche Quellen in unseren Gegenden nur spärlich fließen. Die Namen einzelner Grafen und Grafschaften, einzelner Gerichtsmalstätten und zuletzt die Namen der Landgerichte sind fast alles, was wir vom 10. bis 12. Jahrhundert über die räumliche Ausgestaltung der Gerichtsbezirke in unseren Gegenden wissen.

Verschiedene Erklärungen sind für die Entstehung der Landgerichte aufgestellt worden. Die meisten Schriftsteller, die sich mit dieser Frage beschäftigten, haben sie mit älteren Hundertschaften in Zusammenhang gebracht, so vor allem Riezler und ihm folgend die Mehrzahl der österreichischen Gelehrten. Ja Egger versuchte sogar aus den Grenzzügen der späteren Tiroler Landgerichte die Zenten, die einmal in Tirol bestanden haben sollen, wieder herzustellen. Man war eben geneigt, den Ergebnissen, die Sohm in seinem berühmten Buche über die fränkische Gerichtsverfassung gewonnen hatte, ohneweiters auch für Bayern Geltung zuzuschreiben, obwohl Sohm selber auf die Besonderheiten der bayrischen Gerichtsverfassung hingewiesen hat. Indes ist es wohl zweifellos, daß die Bayern Hundertschaften als lokale Unterabteilungen der Grafschaften nicht gekannt haben. Nicht daß die, wie es scheint, gemeingermanische Einteilung in Hundertschaften von Haus aus gefehlt haben wird, aber in ihren neuen Sitzen haben sie sich nicht nach Hundertschaften gegliedert niedergelassen.

1 Hasenöhrl 173; Österr. Landrecht, erweiterte Fassung, Art. 4 nennt die Landgerichte: grafscheften. Schwind-Dopsch, Urkunden zur Verfassungsgeschichte 57, n. 1; Rosenthal 50.

2 Geschichte Bayerns 1, 125 f., 751 f.

3 Wie Richter a. a. O. 599; Werunsky 55; Egger a. a. O. 382.

4 a. a. O. Auch Rosenthal scheint S. 93 dieselbe Ansicht zu teilen, wenn er sich auch nicht klar ausgesprochen hat, indem er wenigstens die Gerichtsschrannen mit den alten Malstätten der Hundertschaften in Beziehung bringt.

5 Die fränkische Reichs- und Gerichtsverfassung 159 f.

Merkel in der Ausgabe der lex Baiwar., MM. Ll. 3, 283, n. 4; Felix Dahn, Urgeschichte der Germanen 4, 152; Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 1, 117; Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte 13, 217.

Keine bayrische Quelle kennt Hundertschaften und eine Glosse zu Hermann von Altaich bezeugt es ausdrücklich, daß die Bezeichnung Zent bei den Bayern nicht gebräuchlich war. Zwar kennt die lex Baiwariorum Zenturionen, jedoch nur als militärische Unterbefehlshaber unter dem Kommando des Grafen.3

Dem Grafen steht in Bayern allerdings ein Exekutivorgan zur Seite, der Vikar oder Schultheiß, wie er auch genannt wird, der frühzeitig mit dem Hunnen, dem Zenturio identifiziert wird, wie dies auch sonst der Fall war. Und solche Zenturionen werden nicht selten in den Urkunden erwähnt; nichts aber weist darauf hin, daß sie etwas anderes als Hilfsorgane der Grafen waren, daß sie etwa Gerichtsbarkeit in Unterabteilungen der Grafschaft gleich den fränkischen Zentenaren geübt hätten. Ebensowenig kann die Erwähnung von Dekanen für das Vorkommen von Hundertschaften sprechen. Denn die Dekane, die in Tirol nicht selten sind, sind Vor

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Vgl. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte 2, II3, 404; Dahn, Deutsche Geschichte 1, II, 431 und Urgeschichte der Germanen 4, 152.

* MM. SS. 17, 357, n. e.: In quibusdam provinciis iudices provinciales appellantur centenarii, quia locus iudicialis, qui apud nos vocatur dinchstat, apud eos dicitur cend. Es ergibt sich somit, daß der Urheber der Glosse nicht einmal über die Bedeutung von Zent im Reinen war. 3 1, c. 5, 283; vgl. Waitz 2, II 3, 15, 212; Brunner, Rechtsgeschichte 2, 174, n. 2.

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* Wilhelm Sickel, Mitteil. des Inst. f. österr. Geschichtsf. 4, 628. In Bayern nennen bereits die Statuten der Synode von Aschheim: presides seu iudices, centuriones atque vicarios, MM. Ll. 3, 458. Entscheidend die decreta synodorum Bavaricarum aus dem 10. Jahrh. c. 3, MM. Ll. 3, 487; wenn der vom Priester Gebannte nicht Buße tut: exactor publicus id est centurio aut suus vicarius cum sacerdote pergat ad domum huiusmodi presumptoris. Der centurio ist also das Organ, das eine Pfändung vornimmt. Vgl. Beseler Zeitschr. für Rechtsgesch. 9, 250.

5 Zusammengestellt von Merkel MM. Ll. 3, 283, n. 4.; Riezler, Geschichte Bayerns 1, 127 und Forschungen zur deutschen Geschichte 18, 528; Egger a. a. O. 382. Die Erwähnung des Zenturio in D. O. II. 178 für Brixen ist vielleicht aus einer Formel eingedrungen, vgl. D. O. II. 73, könnte im übrigen nach dem Gesagten nicht auffallen. Darnach auch in späteren Kaiserurkunden für Brixen wie 1155 Friedrich I. Stumpf 3726. * Unterforcher, Zeitschr. des Ferdinandeums III, 41, 211 f.; Egger, ebendort 240 f., 251 f. Dekane und Dekanien finden sich vorwiegend im einst langobardischen Südtirol und in den Teilen des Landes, die länger mit Kurrätien in Verbindung standen, im Vintschgau und Oberinntale von Zams aufwärts.

steher von Gemeindevierteln und haben mit der Gerichtsbarkeit nichts zu tun, finden sich übrigens nicht in den ursprünglich von Baiuwaren besetzten Gebieten des Landes. Egger glaubte vor allem jene Gerichte als Reste alter Hundertschaften in Anspruch nehmen zu können, die in der Folge insbesonders als Landgerichte, iudicia provincialia den einfachen Gerichten entgegengestellt werden. In der Tat wird diese Unterscheidung in den Quellen gemacht. Indes scheint sie sich auf Tirol zu beschränken, anderen Teilen des bayrischösterreichischen Rechtsgebietes fremd zu sein; und sehr wohl kann die Bezeichnung Landgericht, iudicium provinciale an der Schranne gehaftet und von ihr auf jene Gerichte übergegangen sein, die sich als Gerichtsstätte eine alte Schranne bewahrt hatten. Wie die Unterabteilungen der Grafschaften in Bayern hießen und welchen Umfang sie hatten, ist dunkel.2 Für die Gerichtsverfassung waren sie ohne Bedeutung; das Gericht war in Bayern Grafschaftsgericht und wurde an den einzelnen Malstätten, deren jede Grafschaft mehrere besaß, abwechselnd gehalten. Wir müssen daher von den

1 Die Verlegung der Schrannen bedurfte noch im 14. Jahrhundert landesfürstlicher Ermächtigung: Markgraf Ludwig gestattet dem Perchtold von Gufidaun, seinem Richter zu Gufidaun, und allen den Richtern, die nach ihm gesetzt werden, daß sie: ,umb alle maleficzi mit vollem gewalt siczen und gerichten sullent an der schranne auf Camp . . . in eleichstaiding an dem lantgericht mit vollem gewalt und an allen dem rechten', wie man früher auf dem dinsacker gerichtet hat. Wasserburg 1358 Juni 24. Handschr. 59, f. 74 Nr. 227, Innsbruck St.-A.

2 Vermutungen bei Dahn, Urgeschichte der Germanen 4, 152.

8 Entscheidend lex Baiuwar. 2, c. 14, MM. Ll. 3, 287; vgl. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte 2, 220; Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte 4, 175. Der Einwand, den unter andern Richter a. a. O. 599 erhebt, daß die bayrischen Gaue zu groß gewesen seien, als daß monatlich eine Vollversammlung der Freien hätte stattfinden können, erledigt sich durch die Ausführungen von E. Mayer in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1891, 349. Die Freien hatten nur zu erscheinen ,wann und wo der Richter es befahl' (Brunner a. a. O.), ,ubi iudex ordinaverit. Übrigens darf auch nicht übersehen werden, daß wir über die Größe der Grafschaften, die im 8. Jahrundert kaum mehr mit den Gauen zusammenfielen, vgl. unten, nicht unterrichtet sind, daß im 8. und 9. Jahrhundert weite Strecken noch unkultiviert und unbesiedelt waren und daß die Zahl der Freien vielleicht doch nicht so groß war, als allgemein angenommen wird. Wenn Dahn, Deutsche Geschichte a. a. O. und v. Below, Göttinger Gelehrte Anzeigen 1890, 310 n. 3 doch Unterbezirke

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