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DIE METRIK DES ANNOLIEDES.

Erster teil. Theorie.

I. Bisherige behandlung der metrik des 11./12. jahrhunderts, im besondren der des Annoliedes.

Die metrik der spätahd. und frühmhd. periode ist bisher noch nicht einer einheitlichen prüfung unterzogen worden, obwol die wichtigkeit einer metrischen untersuchung der gedichte des 11. 12. jahrhunderts schon in der einleitung zu MüllenhoffScherers Denkmälern betont wird (MSD.2 s. XXXV-XXXVI).

In ihren untersuchungen über einzelne gedichte dieser zeit stiessen die metriker bei der ungleichheit im versbau auf erhebliche schwierigkeiten, weil sie nicht in betracht zogen, dass die regeln Lachmanns, die dieser aus der kunstvollen technik eines Hartmann entwickelt hatte, nicht anwendung finden dürften auf die gedichte einer übergangsperiode, dass vielmehr die untersuchungen vom altdeutschen vierhebigen reimvers, dem der vers dieser übergangsperiode noch ziemlich nahe steht, hätten ausgehen müssen.') Sodann liessen die metriker fast gänzlich den rhythmischen charakter der dichtungen unbeachtet.

Ueber diese gedichte, die scheinbar allen metrischen gesetzen hohn sprechen, entwickelten sich zwei anschauungen. Die hauptvertreter der einen ansicht waren Wilhelm Wackernagel (Gesch. der deutschen literatur 1, 110 ff.) und Richard Heinzel (H. von Melk. Berlin 1872, s. 14 ff.). Sie hielten die gedichte dieser zeit für das schlechteste, was es metrisch in

1) Vgl. M. Trautmann, Lachmanns betonungsgesetze und Otfrids vers. Halle 1877, s. 1 ff.; R. Hügel, Ueber die betonung von drei und mehr silben bei Otfrid. Diss. Leipzig 1869.

Beiträge zur geschichte der deutschen sprache. XXXIV.

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der mhd. dichtung gäbe, sprachen ihnen jede 'bestimmte zahl von hebungen' und 'jeden festen rhythmus' ab und nahmen reimprosa an. Auch Goedeke (Grdr. 12, s. 33) bekennt sich zu dieser anschauung, die sonst wenig beifall fand.

Eine zweite gruppe von metrikern leugnete die reimprosa und suchte die regel von der einsilbigkeit der senkung, die Lachmann aufgestellt hat, streng durchzuführen. Nach dem gesetz der einsilbigkeit der senkung können diese metriker zwar eine grosse anzahl verse bei klingendem ausgang dreihebig, bei stumpfem ausgang mit vier hebungen lesen, aber bei sehr langen versen sehen sie sich genötigt, auch vierhebig klingende, fünf- und noch mehrhebige stumpfe zeilen anzusetzen.1)

Kinzel sucht diese überlangen verse mit möglichst vielsilbigem auftakt zu lesen, um die grosse zahl der hebungen, die er durch das starre festhalten an dem gesetz der einsilbigkeit der senkung erhält, herabzumindern. Er beruft sich dabei auf Hartmann, der dreisilbigen und Otfrid, der sogar viersilbigen auftakt habe (Lachmann zu Iwein 2170; abriss II, 1). Kinzel skandiert so (s. LXXI):

v. 163: Die meister díe Alexánder oúch gewán.

v. 194: zerchenne dáz gestírne unt oúch sînen gánc.

Gegen das verfahren Kinzels, ohne rücksicht auf den sinn alles in den auftakt zu bringen, was sich nur nach dem schema des mhd. verses in den auftakt bringen lässt, wendet sich Roediger, Anz. fda. 11, 280 ff. Im zweiten Trierer bruchstück aus dem 12. jahrhundert, dem Aegidius (besprochen Zs. fda. 21, 382 ff.) sucht er vielmehr die überlangen verse als langzeilen mit zäsur zu lesen (s. 384):

v. 1106: hér gewán eíne vreíslìche stimme.
v. 1642: nú gedénke dáz du | únsich irlóstis.
v. 1690: dá intfíenc ín die | gótis sámenùnge.

Er meint, eine art zäsur stelle sich von selbst nach der dritten hebung unmittelbar oder nach ihrer senkung ein, vgl.

1) W. Grimm (Lachmann), Einleitung zum grafen Rudolf s. 12; Scherer, Q. F. 7, s. 45, 79; Müllenhoff-Scherer, Denkm. Einleitung s. XXXV-XXXVI; Edw. Schröder, Anegenge s. 12 ff.; Rödiger, Zs. fda. 19, 241 ff.; Vogt, Beitr. 2, 251 ff.; A. Müller, Vorauer sündenklage. Diss. Breslau 1887, s. 10; Kinzel, Lamprechts Alexander s. LXIX ff.

Roediger, Zs. fda. 19, 309 ff. In gleicher weise wollen den vers in zwei hälften zerlegen: A. Müller, Vorauer sündenklage s. 21 ff.; Schröder, Anegenge 8, 17; Pirig, Jüngere Judith s. 60; Edzardi, St. Oswald s. 54 ff. Sodann sucht Roediger durch verschleifungen, synalöphen und elisionen geschwächter e die zahl der silben herabzumindern; vgl. ders., Zs. fda. 19, 241 ff.: Die litanei und ihr verhältnis zu den dichtungen Heinrichs von Melk; vgl. auch ders., Anz. fda. 9, 534 und 11, 280 ff.

Gegenüber dieser streng schematischen auffassung des verses nehmen einen freieren standpunkt ein A. Amelung, Zs. fdph. 3, 253 ff. und A. Heusler, Zur gesch. d. altd. verskunst. 1891, s. 58 ff.

Amelung, der seinen betrachtungen den Rother zu grunde legt, weist darauf hin, dass in den von Heinzel und Wackernagel als reimprosa bezeichneten gedichten des 11./12. jahrhunderts der versrhythmus deutlich ins ohr falle. Wenn sich auch nicht die allgemeine regel der mhd. metrik, wonach einsilbigkeit der senkung unverbrüchliches gesetz sei, in diesen versen erkennen lasse, so habe doch jede dieser anscheinend nicht metrisch gebauten zeilen bei natürlicher betonung ihre vier haupthebungen (s. 253. 254).

Er stellt eine anzahl regeln für das eintreten der zweisilbigen senkung auf, daneben beachtet er streng die gesetze der elision, synaloephe u. s. w. So kommt Amelung zu dem resultat, dass von den 5180 versen des Rother etwa 5000 nach einer festen regel gebildet seien. Den rest sucht er durch annahme einer in der hs. nicht angedeuteten apokope oder synkope des tieftonigen e oder durch zerlegung überfüllter zeilen in zwei verse oder durch streichung von worten wie er sprach, sprach er regelmässig zu gestalten.

Nach diesen principien, glaubt Amelung, lassen sich im gegensatz zu hochdeutschen gedichten noch viele mitteldeutsche gedichte des 12. jahrhunderts, namentlich erzählende wie Hartmanns Rede vom gelouben, Lamprechts Alexander, Tundalus, herzog Ernst, graf Rudolf, Karl der grosse und Galie u.s.w metrisch behandeln.

Alle noch übrigen verse des Rother, die sich dem metrischen schema nicht fügen, erklärt Amelung für unecht. Da sich die verse einiger mitteldeutscher gedichte wie Kaiserchronik,

Rolandslied u. a. ebenfalls diesen für den Rother aufgestellten regeln nicht anpassen, geht Amelung so weit, deswegen diese werke als unrhythmische reimprosa zu bezeichnen, wenngleich er zugeben muss, dass im Rolandsliede die hälfte der verse sich seinen regeln fügen würde. Auch den Heinrich von Melk erklärt er für unrhythmische reimprosa. So kommt Amelung beinahe wider auf Wackernagels und Heinzels standpunkt zurück, den er im eingang seiner untersuchung als unrichtig hingestellt hatte.

Heusler erkennt wie Amelung in den reimpaaren des 11./12. jahrhunderts den alten vierhebungsvers wider, setzt aber eigentümlicherweise in den ganz kurzen versen, die überwiegend stumpf ausgehen, nur drei hebungen an, da die verse ihm sonst unrhythmisch klingen. Z. b. (s. 59):

[blocks in formation]

Dagegen liest er eine grosse anzahl überkurzer klingend ausgehender verse mit vier ikten (s. 65):

ér wéigerótè

ér chúmet sélbè.

Er betrachtet nämlich den kurzvers der frühmhd. zeit als fortsetzung des nationalen vierhebungsverses. Heusler sieht selbst den mangel an konsequenz bei dieser accentuierung ein, kann sich aber nicht entschliessen, die kurzen klingend ausgehenden verse dreihebig klingend im mhd. sinne zu lesen (s. 65). Unbedingt müssen diese verse mit vier hebungen gelesen werden, aber es ist nicht recht einzusehen, warum Heusler nicht auch die überkurzen stumpfen verse mit vier hebungen lesen will.

In den überlangen versen setzt Heusler bei klingenden wie bei stumpfen versen vier hebungen an (s. 71), z. b. aus Lamprechts Alexander (vgl. die accentuierungen von Kinzel S. LXXI ff.):

awí wi mánic vólewig er váht

dáz er von deme únrehti beschiede daz réhte.
die meister die Alexánder oúch gewán.

zerchénne daz gestírne unt oúch sinen gánc.

Heusler gibt zu, dass dieser vers des 11./12. jahrhunderts der nachkomme des altdeutschen vierers sei (s. 76), er lässt aber

eigentümlicherweise die letzte silbe des klingenden verses ohne hebung, obwol Otfrids klingend ausgehende verse mit vier hebungen gelesen werden. Das klingende ausgangswort gebraucht er zweihebig, wenn der zweite hauptiktus auf ihm ruht, einhebig, wenn es mit der letzten takthälfte einsetzt, wenn es eben im vollen versausgang steht (s. 77):

Rolandsl. 29: in sínème ríchè: | tha wónet er íemer éwehliche. Kann man auch dieser accentsetzung nicht beistimmen, Amelung gegenüber ist ein fortschritt anzuerkennen: die noch freiere behandlung der senkung.

Alle diese untersuchungen beachten jedoch nicht oder nicht genug den rhythmischen charakter der gedichte. Auf die wichtigkeit der untersuchung der verschiedenen rhythmischen formen hat Sievers (Beitr. 13, 121 ff.) ausdrücklich hingewiesen. Unter zugrundelegung der von Sievers für den allitterationsvers aufgestellten fünf verstypen behandelt sein schüler G. Dütschke in seiner dissertation die rhythmik der litanei (Halle 1889). Er weist im gegensatz zu Roediger nach, dass diese verse durchaus nicht schlecht seien und sich gar wol mit drei bez. vier hebungen lesen lassen.

Diese arbeit wird stets wert behalten. Trotzdem halte ich es nicht für richtig, wenn Dütschke die verse, die klingenden ausgang haben, nur mit drei hebungen liest, vielmehr muss. nach meiner ansicht die letzte silbe des klingenden reimwortes eine hebung tragen, sei es auch bloss eine ganz leichte, oft nur eben noch merkliche. Der grundton dieses geistlichen gedichtes verlangt einen langsam feierlichen vortrag und darum dürfen diese verse nicht so leicht fliessend wie etwa verse mhd. romane gelesen werden.

Später hat A. Leitzmann in seiner ausgabe der fabeln. Gerhards von Minden in gleicher weise die rhythmik statistisch behandelt. F. Saran stellte dann für den altdeutschen vierer noch einen sechsten typus auf (Jenaer liederhs. II, § 28). Er machte auch zuerst feinere unterschiede in der schwere der hebungen und beachtete genau alle ordnungen der rhythmischen gliederung, die bei Dütschke und Leitzmann noch nicht unterschieden sind, in seiner abhandlung: Melodik und rhythmik der 'Zueignung' Goethes (Studien zur deutschen philologie

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