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Metz und Lothringen in den historischen Volksliedern der Deutschen.

Von Dr. Fr. Grimme.

Immer haben die Menschen den Trieb gehabt zu wissen, was sich in der Welt ereignete, und stets hat es Mittel und Wege gegeben, diesen Trieb zu befriedigen. Die mündliche Überlieferung war die einfachste Weise, dieser Neugierde zu begegnen, doch haften ihr, besonders wenn sie längere Zeit von Mund zu Munde gewandert, so grosse Mängel an und ihre Glaubwürdigkeit steht auf so schwachen Füssen, dass sie nur wenigen voll und ganz genügen kann. Und so ging man denn bald dazu über, die Ereignisse, nachdem sie kaum geschehen waren, schriftlich aufzuzeichnen, um die geschichtliche Wahrheit vor willkürlichen Entstellungen zu bewahren, wie sie im Munde des Volkes ja ständig eintreten. So lange aber die Mittel der Vervielfältigung so teuer und selten waren, wie dies noch das ganze Mittelalter hindurch der Fall gewesen, konnten diese Aufzeichnungen nur wenigen bekannt, nicht aber Gemeingut aller werden. Und so trat erst mit der Herstellung des Lumpenpapiers, vor allem aber mit der Erfindung der Buchdruckerkunst ein merklicher, ja ein völliger Umschwung auf diesem Gebiete ein. Man behauptet nicht zu viel, wenn man sagt, dass Gutenbergs Erfindung in erster Linie die Welt umgestaltet und besonders beigetragen habe zu der grossartigen Veränderung in Welt und Wissen, die wir mit dem Namen Neuzeit bezeichnen.

In den Tagen des Mittelalters und auch noch in denen der Reformation beherrschte nun die Dichtung weit mehr wie heute die Gemüter, und alles, was man fühlte und dachte, wurde im poetischen Gewande den Zeitgenossen und späteren Geschlechtern überliefert. Kann es uns da wundern, dass auch die Ereignisse der Geschichte in Reime gebracht. wurden, und dass man bestrebt war, alles was wissenswert und bedeutend erschien, vor dem Vergessenwerden zu bewahren? So entstanden denn die historischen Volkslieder, die, ursprünglich für einen kleineren Kreis gedichtet und berechnet, doch auch selbst vor der Erfindung der Buchdruckerkunst weithin bekannt wurden und mächtig wirkten. Waren die Verhältnisse in früheren Tagen auch ganz andere und völlig verschieden von den unserigen, war die Vervielfältigung

eines Liedes auch mit grossen Mühen und Kosten verbunden, so gab es dennoch überall Mittel und Wege, um das Neue und Wissenswerte bekannt zu machen und unter die Leute zu bringen. Liliencron1) sagt in dieser Hinsicht mit vollem Rechte, dass das Tagestreiben der Männer in früheren Zeiten einen viel öffentlicheren Charakter gehabt habe, als die häusliche Zurückgezogenheit unseres heutigen Lebens. » Während der in grösseren Kreisen genossenen Mahlzeiten der Fürsten und Herren, in den Trinkstuben des Adels, in den Zunfthäusern der Bürger, in den Badstuben, Schenken und Herbergen, wo sich das Volk aller Klassen täglich versammelte, gab es immerwährende Gelegenheit zu singen, zu lesen und zu erzählen. Die öffentlichen Nachrichten verbreiteten sich noch nicht durch Zeitungsblätter, hinter denen der einzelne still für sich lesend sass, sondern durch lebendigen Vortrag des Erzählenden oder Lesenden, und zu den ersten Zeitungen gehören eben unsere Spruchgedichte, die überall selbst verkünden, dass ihre Dichter sie sich als vor grösseren Kreisen der Zuhörer vorgetragen denken. Auf jedem Reichstage, in jeder Versammlung der Fürsten, der Ritter, der Städte dehnte sich der Kreis der Interessen schon über ein bald mehr, bald minder grosses Gebiet aus. Boten aller Art, des Reiches, der Fürsten und der Städte, durchritten ohne Aufhören die deutschen Lande nach allen Seiten; sie waren die natürlichen und gewöhnlichen Vermittler für die Zeitungen und Berichte aller Art. Ausserdem aber war die Zahl derer, die damals unstät durch die Lande hinzogen, überaus gross: Geistliche, Schüler, Schreiber, Sänger, Spielleute, Gaukler, die Scharen der Landsknechte u. s. w., die ganze grosse Bewohnerschaft der Herbergen. Sie alle trugen die Neuigkeiten von Ort zu Ort und ganz gewiss am liebsten in gebundener Rede, in Lied oder Spruch. Es fehlte demnach durchaus nicht an Mitteln, um auch den Reimgedichten eine schnelle Verbreitung zu geben, und es war auch ihnen die Einwirkung auf weite und zahlreiche Hörerkreise gesichert. Als sie dann später im Druck rasch vervielfältigt werden konnten, stieg ihre Verbreitung ohne Zweifel viel weniger dadurch, dass mehr Leute eines Exemplars habhaft werden konnten, um es für sich zu lesen, als vielmehr durch die vermehrte Zahl der Vorleser, die das neue Gedicht nun allerorten zugleich in den öffentlichen Versammlungen der hörbegierigen Menge vortragen und vom Ort des Druckes alsbald auf allen Strichen der Windrose in die Lande hinaustragen konnten, um von Herberge zu Schenke ihre Neuigkeiten an den Mann zu bringen. «

1) v. Liliencron, Die historischen Volkslieder der Deutschen vom XIII. bis XVI. Jahrhundert. 2, II.

Bis in das früheste Mittelalter zurück lässt sich diese historische Volkspoesie der Deutschen verfolgen, wenngleich leider nur ganz geringe Reste auf uns gekommen sind. Das älteste hierher zu zählende Gedicht ist der noch der althochdeutschen Periode angehörende sogenannte Ludwigsleich, eine Verherrlichung des Sieges, welchen der westfränkische König Ludwig III. im Jahre 881 bei Saucourt über die Normannen davontrug. Aber auch noch andere siegreiche Schlachten haben Anlass zu dichterischen Schilderungen und Liedern geboten; so wird von den Geschichtsschreibern zum Jahre 915 ein Volkslied auf die Schlacht bei Erisburg erwähnt. Grosse Männer wurden im Liede verherrlicht, so der bedeutende Erzbischof Anno von Köln in einem grösseren Gedichte, das uns der glückliche Zufall erhalten hat; andere, wie ein Gesang auf den Erzbischof Hatto von Mainz aus dem Jahre 904, auf den Herzog Boleslaw von Polen aus dem Jahre 1109, sind uns leider verloren gegangen, sei es, dass diese Lieder gar nicht aufgezeichnet waren und nur im Munde des Volkes fortlebten, welches nach Jahrhunderten ihren Inhalt nicht mehr verstand und so das Interesse an denselben verlor, sei es, dass in den trostlosen deutschen Wirren zu Ausgang des Mittelalters auch die Aufzeichnungen der Vernichtung anheimfielen. Eins der frühesten wirklichen Volkslieder, das auf uns gekommen, betrifft die Schlacht auf dem Marchfelde zwischen Rudolf von Habsburg und König Ottokar von Böhmen im Jahre 1278, und bis um die Mitte des XV. Jahrhunderts führt Liliencron nicht weniger als 124 Lieder auf, welche der Vergessenheit entgangen sind. Seit dieser Zeit nun erreicht die Zahl der historischen Volksgesänge eine wirklich staunenswerte Höhe, was wohl zum Teil auf die Erfindung der Buchdruckerkunst zurückzuführen ist, doch ist dies kaum der einzige Grund. Es ist nicht zu verkennen, und alle Litterarhistoriker kommen dahin überein, dass das XV. und XVI. Jahrhundert, eine so traurige Öde auch auf dem Gebiete der Kunstpoesie herrschte, dennoch reiche und lohnende Ausbeute gewährt durch das Überhandnehmen des Volksliedes. Der deutsche Geist erwachte in den Tagen, als die politische Grösse unseres Vaterlandes zu Grabe getragen wurde, in nie geahntem Masse. Die Masse des Volkes fühlte ihre Kraft, die feinere Bildung wurde Gemeingut und auf allen Gebieten von Kunst und Wissenschaft suchte das Volk sich hervorzuthun. Wie das Kirchenlied in kurzer Zeit zur höchsten Vollendung emporstieg, so nicht minder der Profangesang. Das Volkslied tritt jenem ebenbürtig zur Seite, nicht nur das eigentliche Liebeslied, sondern auch das historische Gedicht. Ein jeder sucht sich hier hervorzuthun und beizutragen zu dem Auf

schwunge der Nation. Nichts schien so unbedeutend, was nicht wert gewesen wäre, im dichterischen Gewande zur Kenntnis der Zeitgenossen gebracht zu werden, und so finden wir neben welthistorischen Ereignissen in den geschichtlichen Volksliedern der Deutschen auch Sachen verewigt, die uns an die heutigen Mordgeschichten erinnern, neben den Kämpfen gegen Hussiten und Türken auch Berichte über den Judenmord zu Denkendorf oder über Stortebeker und Hodeke Michel. Kein Ereignis von irgend welcher allgemeinen oder auch nur lokalen Bedeutung ist unbesungen geblieben. Auf fliegendem Blatt gedruckt, wurde es auf den Messen und Wallfahrten als das Allerneueste angepriesen und massenhaft gekauft. In kurzem waren diese Blättchen dem Volke so beliebt, ja förmlich zum Bedürfnis geworden, dass Verleger und Dichter bei jeder noch so dürftigen Reimerei, wenn sie nur irgend etwas im Augenblicke gerade Anziehendes enthielt, leicht ihre Rechnung fanden« 1). Da konnten denn unsere biederen Vorfahren vernehmen, was sich in der Welt ereignet, und die Wundermär, welche ihnen diese Zeitungen verkündet, gelangte so von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf.

Natürlich ist ihr dichterischer Wert nicht immer sehr hoch, ja verhältnismässig nur wenige Lieder dieser Art erheben sich über den Boden der Mittelmässigkeit, auch ihr Verständnis wird durch den poetischen Sinn des Lesers allein nicht vermittelt. Sie sind, wie Liliencron treffend sagt 2), »eben nicht etwas für sich selbständig bestehendes, wie jede andere freie, allgemeine menschliche Dichtung. Ein anderes Lied löst sich von der Empfindung des Herzens, aus dem es hervorquillt, wie die reife Frucht vom Baume ab; es duftet und schmeckt. und keimt nach seiner Art fort in anderen Gemütern. Das geschichtliche Lied dagegen hängt fester und unlösbarer mit der Begebenheit zusammen, die den Sänger zum Singen stimmte. Innerhalb des Laufes der Ereignisse entsteht es gewissermassen selbst wie ein Stückchen dieser Geschichte; es ist selbst eine Seite des lebendigen Treibens, welches sich zugleich in ihm abspiegelt. Es wird nicht gedichtet, um Unkundige über das Geschehene zu belehren, sondern wendet sich an solche, die in dem eben Geschehenen mitleben und mitwirken, bald um die gemeinsame Freude über einen Sieg zu feiern, bald um dem Zorn oder der Ergebung bei einer Niederlage Worte zu leihen, um den Freund zu feiern, um den Gegner mit Hohn und Spott zu überschütten; immer aber mit der Absicht, die Gemüter der Hörer zu stacheln und zu

1) ib. 3, IV.

2) ib. 1, IV.

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