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daß in ihm das Philologische wirklich das Übergewicht behielte, daß er über das Wissen des Einzelnen die Auffassung des Ganzen versäumte und sich lieber mit den kleinlichen Mitteln befaßte, als mit dem großen Zwecke? Sein Quellen - Studium ist gründlich und genau, wie es sein soll bei Philologen und Historikern; aber seine Kritik zeugt mehr von jener ängstlichen und kleinlichen Krittelei und Klauberei, die sich an Buchstaben und Sylben, an Wörter und Säße hängt, und nicht gern fallen läßt, was sie ein Mal hält, wenn sie es auch nur durch Ändern und Bessern zu sichern vermag, als von dem freien, selbständigen und entscheidenden Urtheile des Historikers, das aus den Geseßen der Natur, aus dem Wesen des menschlichen Geistes, aus den edelsten Gefühlen in der menschlichen Brust, aus der ganzen Stellung der Zeit, aus der Lage der Länder und Völker, aus allen politischen, religiösen und sittlichen Verhältnissen der Menschen, von welchen die Überlieferung spricht, hervorgegangen ist, und deswegen auf Wahrheit Anspruch macht, wenn auch Sylben, Wörter und Säße nicht für diese Wahrheit zeugen. Und auch in seiner Darstellung des Erforschten, in seiner Geschichtschreibung, zeigt Niebuhr dieses Übergewicht des Philologischen. Seine Liebe zum Parallelifiren ist philologischer Art. Sie stammt aus den Nachweisungen anderer Stellen, bei anderen Schriftstellern oder auch bei diesem, um die vorliegende Stelle verständlicher zu machen, um sie zu erklären und die Erklärung zu rechtfertigen. Dieses Parallelisiren aber, obwohl man es schon bewundert, gepriesen und selbst zur Nachahmung empfohlen hat, ist durchaus verwerflich in der Geschichte, weil es verderblich ist; auch verführerisch, weil es so leicht

ist. Nie sind die Zeiten sich gleich, nie die Verhältnisse. Indem daher eine Parallele zwischen Zeiten und Zeiten, Völkern und Völkern, Verhältnissen und Verhältnissen gezogen wird, muß hier Etwas hinweg gelassen, dort Etwas hinzu gefeßt, es muß verändert, umgestellt und umgedeutet, es muß etwas Fremdartiges eingeschoben werden. Dadurch wird die reine Anschauung des Lebens, auf welche allein Alles ankommt bei der Erforschung, wie bei der Darstellung der Geschichte, nothwendig getrübt, verdorben, verfälscht, und die Erkenntniß der Wahrheit unmöglich werden. Und wie leicht Niebuhr Parallelen fand, und wie wenig bekümmert er um Gleichheit oder Ähnlichkeit der Zeiten und der Verhältnisse gewesen, das geht ja wohl aus den Bemerkungen hervor, die hier gegeben worden sind: Die römische Welt um die Mitte des dritten Jahrhunderts und die europäische Welt in unfern Tagen; die römischen Plebejer und das französische Bolk!

Das Cölner Ereignifs.

Was man jezt schon das Cölner Ereigniß nennt, und viel= leicht noch die Cölner Frage nennen wird, nämlich die Verhaftung des Erzbischofs Clemens August den 20. Novemb. 1837, machte, als es zuerst bekannt ward, auf meine nächste gelehrte Umgebung keineswegs einen unfreundlichen Eindruck, und unter den Ungelehrten hörte ich hier und da ein heiteres Jauchzen, wie wenn Kindern die Thüre geöffnet wird, die bisher der Christbaum verbarg. Ich befand mich in der Gesellschaft einiger Freunde. ,,Es ist eine neue Thesis," sagte Einer derselben; „eine einzige nur, aber eine königliche, die stärker und schneller durch die Welt fahren wird, als die 95 Thesen des mönchischen Professors vor 300 Jahren.",,Die Thatsache an sich," sagte ein Anderer,,,ist ohne Bedeutung. Was ist es denn Großes, einen alten, wehrlosen Mann zu nöthigen, sich in einen Wagen zu sehen, und ihn alsdann im Schuß einer bewaffneten Macht bei Nacht und Nebel hinweg zu führen? Aber als Zeichen der Zeit scheint mir der Vorgang von der größten Wichtigkeit. Den alten Erzbischof, einen Greis, der selbst in seinen kräftigsten Jahren in keiner Weise aus

gezeichnet war, gilt es nicht; diesen hätte man, da seine Tage gezählt waren, ruhig auf seinem Stuhle sißen lassen, und alle seine Umgriffe, alle seine Handlung leicht vereiteln und unschädlich machen können. Nein, es gilt den Papst, es gilt die katho= lische Kirche. Eben deswegen darf man behaupten, daß Preußen in dieser Sache, die ich in dem angegebenen Zweck als eine große Sache ansehe, nicht allein stehe. Preußen handelt im Namen und Auftrage des gesammten Europa's, wenigstens des gesamm= ten teutschen Bundes. Jedes Falles ist es einverstanden mit Österreich. Die Fürsten Europa's müssen es wohl erkannt haben allzumal, daß man in der Freude über die Bezwingung Napoleon's zu nachgiebig, zu unvorsichtig gegen den Papst gewesen. Die wachsenden Anmaßungen desselben, die großen Vorkehrungen zu neuen, von welchen Mönche und Jesuiten Zeugnisse geben, haben ohne Zweifel den Fürsten die Augen geöffnet, oder vielmehr, sie haben den Fürsten fühlbar gemacht, daß es Zeit sei, einzuschreiten und die Gefahr, die Allen droht, für immer abzuwenden. Preußen hat nur die Ehre erhalten, zuerst Hand ans Werk zu legen, theils weil es die größte protestantische Macht in Teutschland ist, theils weil ihm die erste Gelegenheit dargeboten wurde, die Rechte der weltlichen Gewalt zu wahren gegen die Anmaßungen der geistlichen Gewalt." ,,Ganz Recht," nahm ein Dritter das Wort. ,,Eine neue Reformation war längst Bedürfniß; jezt ist sie vor der Thüre. Sie wird rasch sein, gründlich, allgemein, aber auch die lezte. Fortan wird die Knechtschaft des Geistes aufhören -in allen Ländern, bei allen Völkern. Und dafür sei Gott gedankt.“

Ich hatte mich bei diesem Gespräche, aus welchem ich nur

die Hauptgedanken niedergeschrieben habe, vollkommen ruhig verhalten, und einfältiglich in die Freude hinein geschauet und einfältiglich in die Weisheit. Denn auch auf mich hatte die Verhaftung des alten Erzbischofs einen nachhaltigen Eindruck gemacht, einen heiteren keineswegs, aber auch keinen besonders schmerzlichen. Sie hatte mich in jene Stimmung verseßt, welche befonnenen Menschen gar wohl bekannt ist, ‘in jene Stimmung, in welche wir zu gerathen pflegen, wenn Etwas an sich Kleinliches geschieht, das aus Großem hervorgegangen und auf Großes gerichtet zu sein behauptet, ohne daß wir die Ursache und den Zweck zu begreifen vermögen. Wir pflegen alsdann wie verblüfft vor der wunderlichen Erscheinung stehen zu bleiben.,,Wenn wir nicht klar . sehen, sollen wir keine Farben beschreiben, und von Niemandem behaupten, daß er auf dem rechten Wege sei, wenn wir nicht wissen, wohin er will." Diese Regel eines weisen Mannes hatte ich bisher befolgt und ein tiefes Schweigen beobachtet. Jezt ward ich um meine Meinung gefragt. Ehe ich aber zu antworten vermochte, fie ein Anderer ein:,,Erlauben Sie zuvörderst noch eine Bemerkung, die mir so eben durch den Kopf geht. Erstaunlich klug sind diese Preußen, das muß wahr sein. Die katholische Kirche und das Haupt dieser Kirche, der Papst, werden Nichts wagen gegen. ein so derbes Auftreten der preußischen Regierung; erstaunt und erschreckt werden Beide ohne Widerspruch und Einrede ertragen, was geschehen, und ferner geschehen lassen, was ferner geschehen wird und geschehen muß, wenn die Hinwegführung des Erzbi= schofs nicht als ein lächerliches Bramarbasiren erscheinen soll. Beide, Kirche und Papst, das wußte die preußische Regierung recht

Luden Rückblicke.

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